Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 125 Kooperation mit Serbien und Montenegro nur außerhalb deren Territorien erlaubt blieb. Die Freiheit der russischen Aktion in Serbien war verloren, ebenso auch die Möglichkeit einer serbischen territorialen Vergrößerung gegen Növi Pazar9). Obwohl seit den Konferenzen in Livadia (Oktober 1876) das russische Programm unter Ignatievs Einfluß schon definitiv Serbien zugunsten Bul­gariens zurückgestellt hatte10), bedeuteten doch die Konventionen von 1877 eine unfreiwillige Einengung der russischen Handlungsfreiheit ge­genüber Serbien, denn die Aussicht auf Erhaltung der eigenen Position in diesem Lande schwand dadurch noch mehr. Serbien bemerkte zwar nicht gleich diesen Umschwung der russischen Politik, vor allem dank der panslavistischen Agitation, die sich als halb­amtlich gab. So versuchte Serbien noch in den beiden serbisch-türkischen Kriegen die orientalische Frage zuerst teilweise, dann ganz in Anlehnung an Rußland zu lösen. Die serbischen Staatsmänner hielten es für selbst­verständlich, als Rußland sie im russisch-türkischen Kriege zum erneuten Waffengang aufforderte, daß auch die Entschädigung entsprechend aus- fallen werde. Wie groß war jedoch die Enttäuschung, als nach dem sieg­reichen Kampfe der Vertrag von San Stefano kam, nach welchem dem­jenigen Land, das eigentlich die orientalische Frage ins Rollen gebracht hatte, nur einige türkische Grenzdistrikte zugesprochen wurden, während es nicht nur die österreichische Okkupation von Bosnien und der Herce­govina ruhig hinnehmen mußte, sondern, was aus Prestige-Gründen min­destens ebenso schmerzte, auch die Errichtung eines Großbulgariens. Die serbischen territorialen Wünsche, die schon früher den Russen zur Kenntnis gebracht, auf die Einverleibung des Növi Pazar, Altserbiens und eines Teiles von Makedonien (Skoplje, Veles, átip, Debar) ausgingen, waren von den Russen auf diese Weise völlig mißachtet worden 11). Die Enttäuschung in Serbien über das russische Verhalten mußte umso größer sein, als man sich dort noch nicht so weit durchgerungen hatte, die politischen Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten sachlich aufzu­fassen. Es blieb beim „Gefühl“. Man „glaubte“ eben an die Worte und Versprechungen, mit denen Rußland die Serben überhäufte, an die Un­eigennützigkeit Rußlands auf dem Balkan, an die „historische Mission des heiligen orthodoxen Rußlands, die Christen des Ostens zu befreien“ so stark, daß man 1876 den Krieg gegen die Türkei ohne Zusage der Hilfe des amtlichen Rußlands führte, und 1877/78 den zweiten Krieg zwar als Bundesgenosse Rußlands, aber ohne sich bindende Versicherungen über die territorialen Erwerbungen Serbiens geben zu lassen. „Man glaubte“ eben, daß Serbien, wenn es auf russisches Geheiß in den Krieg zog, auch die volle Würdigung seiner Anstrengungen und Opfer von seiten Rußlands finden werde, eben „weil die jungen Staaten — und alle Balkanstaaten sind erst Jünglinge — gerade so wie die jungen Abiturienten unheilbare

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