Erzsébet Fábián-Kiss: Die ungarischen Ministerratsprotokolle aus den Jahren 1848–1849 (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 29. Budapest, 1998)

Einleitung

fragen, z.B. die Abschaffung der Stockstrafe beim Militär oder das Verbot der Sensenausfuhr verhandelt wurden. Nach wichtigen oder allgemeine Aufreg­ung verursachenden Ereignissen versammelten sich die Minister fast instinkt­iv beim Palatin, Ministerpräsidenten oder dem ihn vertretenden Minister - das läßt uns Stephan Széchenyis Tagebuch sehr gut nachempfinden. Es gab aller­dings auch Gegenstände, die einer oder der andere von ihnen als Staatsangele­genheit betrachten mochte, weil er zur Unterstützung seiner individuell verantwortlichen Entscheidung die Stütze der Mehrheitsstimmen verlangte. 6 Der Kreis der Entscheidungen läßt sich als direkte Folge der nicht definierten Kompetenz nur unbestimmt umreißen. In diesem Zusammenhang darf aller­dings nicht unerwähnt bleiben, daß der Tonfall der Protokolle offener und kraftvoller als der der Akten ist. Auch wenn im Laufe des Studiums der Regie­rungsgeschichte Zweifel hinsichtlich der stärkeren oder weniger starken Ver­selbständigungsbestrebungen des ungarischen Ministeriums auftreten können, werden diese Zweifel vermutlich vom Inhalt der Protokolle zerstreut. In dieser Hinsicht soll auf die Stellungnahmen betreffs der Zuständigkeit des ungarischen Landesverteidigungsministeriums sowie auf die zu den Taten des Banus von Kroatien verwiesen werden. SITZUNGSORDNUNG UND GESCHÄFTSFÜHRUNG DES MINISTERRATES Man hat sich 1848 anscheinend nicht über bestimmte Tage geeinigt, an denen der Ministerrat tagt; 1849 bestimmte man dafür den Montag und Don­nerstag (Sitzung vom 2. Mai). Diese Vereinbarung hatte keine besondere Be­deutung, weil das Leben fast täglich Ereignisse produzierte, die die Einberufung von Sitzungen nötig machten. Széchenyis Tagebuch, aber auch die Protokolle selbst bezeugen, daß sich die Minister manchmal sogar mehrmals täglich tra­fen, und sicher ist, daß das Zusammensein über kürzere oder längere Zeit alltäglich war. 1849 tagten sie von abends 6 Uhr manchmal bis Mitternacht; Gouverneur-Präsident Kossuth rief sie nach Erhalt jeder wichtigeren Kriegs­nachricht zusammen, und allgemein sprachen sie alle Regierungsfragen gemein­sam durch. 7 Der Ort der Beratungen war 1848 das Quartier bzw. Amt des Palatins, des Ministerpräsidenten, Széchenyis, Kossuths oder Deáks und 1849 die Wohnung des Gouverneurs. Eine Ausnahme von letzterer war z. B. die Periode des Weg­ganges von Pest, über die uns Vukovics informiert. 1848 gab es engere „kabi­nettartige" Zusammenkünfte beim Palatin, und 1849 im Sommer erweiterten sich die Sitzungen mehrfach unter Teilnahme einiger Militärfuhrer auch zum Kriegsrat. Unter den Teilnehmern - obwohl diese Protokollfragmente sie nicht immer aufzählen - finden sich selten sämtliche Minister; häufig waren sie anderweitig beschäftigt. Es kam vor, daß nur 3—4 Personen anwesend waren. Wie aus Rückerinnerungen hervorgeht, ergaben sich 1849 mehrfach peinliche Situationen daraus, daß in Abwesenheit des einen Ministers die übrigen ohne

Next

/
Oldalképek
Tartalom