Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)
Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges
mentarischen Organen Rechenschaft zu geben. Auch die Gesetze aus dem Jahre 1867 haben ihn lediglich verpflichtet, im Einvernehmen mit beiden Regierungen vorzugehen. Das Habsburgreich ist im Jahrhundert von Metternich bis Berchtold vom Feudalismus zum Kapitalismus übergegangen. Die Produktivkräfte haben sich mächtig entwickelt, die wirtschaftlichen Verhältnisse haben eine riesige Umgestaltung durchgemacht, besonders jener Komplex der Produktivkräfte, den wir Technik zu nennen pflegen. 160 Zur gleichen Zeit blieb der höchste Verwaltungsapparat der Habsburgmonarchie in seinen wesentlichsten Punkten dasselbe Instrument, dessen sich unter den feudalen Verhältnissen noch Metternich bedient hatte. 161 Wie hat nun Berchtold nach Andrássy und Aehrenthal dieses Instrument benutzt ? Ihn hatte das Schicksal in den vielleicht kritischsten Stunden der vielhundertjährigen Geschichte des Habsburgreiches auf den höchsten Posten der Staatseinrichtung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gestellt. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Protokolle der Ministerkonferenzen unmittelbar vor der Kriegserklärung eingehender analysieren (s. dazu die ersten Protokolle des vorliegenden Bandes). Nach dem Attentat von Sarajewo trat der gemeinsame Ministerrat erstmalig am 7. Juli 1914 zusammen. 162 Die Ministerkonferenz wurde einberufen, um für die innere Krise Bosniens, die durch den Mordanschlag auf das Thronfolgerpaar offensichtlich geworden war, eine Lösung zu finden. Der Minister des Äußern, Berchtold, der den Vorsitz führte, legte die Richtung der Lösung bereits in seiner Eröffnungsrede fest: Abrechnung mit Serbien und Kriegserklärung. Er verwies darauf, daß er mit Deutschland bereits in Verbindung getreten sei und sowohl der Kaiser als auch der Reichskanzler die Monarchie im Falle eines kriegerischen Konfliktes ihrer bedingungslosen Unterstützung versichert hätten. Er berief sich auch darauf, die Nachbarn der Monarchie würden Tatenlosigkeit (als Tat verstand er den Krieg) für ein Zeichen der Schwäche ansehen. Der österreichische Ministerpräsident Graf Stürgkh betonte, bei einer derartigen Enunziation der Bundestreue Deutschlands würde durch eine Politik des Zögerns und der Schwäche die Möglichkeit einer eventuellen, zu einem späteren Zeitpunkt notwendigen Unterstützung durch das Deutsche Reich aufs Spiel gesetzt werden. Wenn er zustimme, daß der Aktion gegen Serbien ein diplomatischer Schritt vorangehe, so nur dann, wenn die Note mit der entschiedenen Absicht abgesandt wird, dem diplomatischen Schritt den Krieg folgen zu lassen. Nach Ansicht des gemeinsamen Finanzministers Bilinski verstehen die Serben nur die Sprache der Gewalt. Der gemeinsame Kriegsminister Krobatin erwähnte Beispiele von Kriegen ohne Kriegserklärung: er gebe dem Krieg auch vor einer erfolgreichen diplomatischen Aktion den Vorzug. Und István Tiszas Standpunkt ? 163 Er erklärte, er würde niemals einem Krieg ohne Kriegserklärung zustimmen, und einem Krieg überhaupt nur dann, wenn Serbien harte aber nicht unannehmbare Forderungen der Monarchie zurückweisen würde. Als ungarischer Ministerpräsident würde er auch im Kriegsfalle die Verstümmelung Serbiens, die Angliederung serbischen Bodens an die Monarchie nicht zulassen können, ausgenommen gewisse Grenzberichtigungen strategischen Charakters. Heute kennen wir den