Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

Ministers des Äußern und jener des Ministers des kaiserlichen Hauses getrennt geregelt. 140 Der Reichskanzlertitel des Vorsitzenden des gemeinsamen Ministerrates wurde auf Forderung der ungarischen Opposition abgeschafft. 141 Zumindest war dies der unmittelbare Grund für das Verschwinden des Titels. Daß er jedoch so leicht ver­schwand, der Herrscher ohne größere Schwierigkeiten einwilligte, diesen Titel, der doch am meisten geeignet war, nach außen hin die Einheit des Reiches zu reprä­sentieren, nicht mehr zu benutzen, hatte einen tiefern Grund. Die Forderung der ungarischen Opposition deckte sich, wenn auch vielleicht nicht ganz bewußt, mit den Absichten des Kaisers, mit seiner Vorstellung über die Funktion des Vorsitzen­den seiner Reichsregierung. Wir haben gesehen, daß auch die Regelung im Jahre 1848 dem Ministerpräsi­denten keine die der übrigen Minister weit überragende Rolle zudachte. In der Aufzählung der Ministerratsmitglieder der am 14. März 1848 abgehaltenen Staats­Konferenz wird sie gar nicht erwähnt. Lediglich an zweiter Stelle wird hinzugesetzt, daß der Ministerpräsident, dessen Person vom Herrscher bestimmt werden wird, im Ministerrat präsidiert. Die Angelegenheiten werden mit voller Verantwortung von den Ministern erledigt. Der Ministerrat bildet das Forum zur Beratung strit­tiger Angelegenheiten, zum Ausgleich von Gegensätzen. Die Funktion des Mini­sterpräsidenten ist mit der Einberufung des Rates, der Einladung der Minister und anderer Fachleute, der Feststellung der Geschäftsordnung, der Einleitung der Beratung usw. erschöpft. Dies waren aber mehr administrative Obliegenheiten, denn Aufgaben eines Chefs der Regierung. Als Baron Beust bestrebt war, seinen vielfältigen Aufgabenkreis zu verteilen, richtete er eine Reichskanzlei ein, um den administrativen Teil seiner Funktion zu versehen, der mit seinem Amt als Ministerpräsident zusammenhing. Er legte auch ihren Geschäftskreis fest, der im wesentlichen die Amstgeschäfte umfaßte, die mit der Funktion als Vorsitzender des Ministerrates des späteren, dem Namen nach nicht existierenden Reichs- (gemeinsamen) Ministerpräsidenten in Zusammenhang standen. Nach dem Ausgleich wurde der Wirkungskreis so manchen Organs der Monarchie negativ festgelegt; auch diese Erscheinung spiegelte die Widersprüche der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Einrichtung des Staates wider. Das geschah auch bei Abgrenzung des Geschäftsbereiches der Reichskanzlei. Am 27. Juni 1867, einige Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler, richtete Beust eine Eingabe an den Herrscher, in der der Grundsatz zur Bestimmung der Funktion der Reichskanzlei festgelegt wird. Danach gehören hierher alle Angelegenheiten, die streng genommen mit der Administration weder des Ministeriums des Äußern, noch der der Länder Zisleithaniens in unmittelbarer Verbindung stehen, weiter die ihrem Wesen nach politischen und solche Angelegenheiten, die sich bis zu einem gewissen Maße auf das Gesamtreich beziehen. 142 Mit der Streichung des Titels Reichskanzler verschwand auch die Benennung Reichskanzlei, ihren Geschäftsbereich übernahm die Präsidialsektion des gemeinsamen Ministeriums des Äußern. 143 Das Ministerratsstatut des Jahres 1848 besagt in einem Punkt : wenn der Mini­ster gegen einen in kollegialer Beratung gefaßten Entschluß der ihm unterstellten

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