Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)
Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges
Im Gesetz wird für die gemeinsamen Angelegenheiten, die allein in den Wirkungskreis der gemeinsamen Regierung gehören, 78 ein gemeinsames Ministerium geschaffen. Im Sinne des Paragraphen 27 des Ges. Art. Nr. XII v. J. 1867 fallen diesem die Angelegenheiten zu, » die als wirklich gemeinsam weder der Regierung der Länder der ungarischen Krone noch der separaten Regierung der übrigen Länder Sr. Majestät unterstehen. Dieses Ministerium kann neben den gemeinsamen Angelegenheiten die Angelegenheiten der separaten Regierung weder des einen noch des anderen Teiles besorgen und kann auf diese keinen Einfluß ausüben .. ,« 79 Während das österreichische Gesetz das gemeinsame Ministerium einfach als »verantwortlich« bezeichnet, wird im ungarischen Gesetz (im weiteren Teil von § 27) die Verantwortlichkeit des Ministeriums konkreter definiert : »Verantwortlich wird jedes Mitglied dieses Ministeriums in allen Sachen sein, die in seinen Wirkungskreis gehören, verantwortlich wird auch das ganze Ministerium gemeinsam sein bei amtlichen Verfügungen, die gemeinsam festgestellt wurden.« Wie aus § 38 des ungarischen Gesetzes hervorgeht, ist der Begriff der parlamentarischen Verantwortlichkeit durch das Recht der gemeinsamen Minister, an den Sitzungen der Delegationen teilzunehmen und durch ihre Pflicht, die dort an sie gerichteten Fragen zu beantworten, im großen und ganzen erschöpft. 80 Die genauen Formen der Möglichkeit, die gemeinsamen Minister zur Verantwortung zu ziehen, richtiger, Anklage gegen sie zu erheben, wurden zwar in den Ausgleichsgesetzen (so z. B. in §§ 50 und 51 des Ges. Art. Nr. XII v. J. 1867) festgelegt. Durch die eigenartige staatliche Struktur der Monarchie aber, vor allem durch eine Arbeitsunfähigkeit der Delegationen, von denen die gemeinsamen Minister zur Verantwortung gezogen werden konnten, wurde die Möglichkeit, dem gemeinsamen Ministerium das Vertrauen zu entziehen, auf parlamentarischem Wege zu stürzen, im wesentlichen illusorisch. Es fragt sich nun nach all dem, ob das durch die Ausgleichsgesetze geschaffene gemeinsame Ministerium im parlamentarischen Sinne des Wortes als verantwortliche Regierung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie betrachtet wurde. Diejenigen Paragraphen des Ges. Art. Nr. XII v. J. 1867, in denen die Formen der Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten bestimmt wurden, zeigen, daß auch für die sogenannten gemeinsamen Angelegenheiten letzten Endes die einzelnen Regierungen der Monarchie verantwortlich sind und daß die gemeinsamen Minister die Angelegenheiten im wesentlichen nur nach deren Vorstellungen erledigen können. Der Paragraph 8 besagt zum Beispiel, daß der gemeinsame Minister des Äußeren nur »im Einvernehmen mit den Ministerien beider Parteien und mit ihrer Zustimmung vorgehen kann«. 81 Ohne Zweifel, war von den beiden tragenden Pfeilern der durch den Ausgleich geschaffenen staatlichen Struktur der Monarchie, dem parlamentarischen und dem ministerialen, letzterer bedeutender. Die schwerfällige Institution der Delegationen war vom ersten Augenblick an nicht geeignet, die Rolle eines lebensfähigen Parlaments des Reiches zu spielen. Sie ist es auch nie geworden. Worin lag die Wichtigkeit des ein Gegengewicht entbehrenden ministerialen Pfeilers? Studiert man die Protokolle des gemeinsamen Ministerrates, so erhebt sich die nicht unwesentliche Frage, ob im Verlaufe der unter widerspruchsvollen Umständen vorgenommenen