Komjáthy Miklós: Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918) (Magyar Országos Levéltár kiadványai, II. Forráskiadványok 10. Budapest, 1966)

Einleitung: Die Entstehung des gemeinsamen Ministerrates und seine Tätigkeit während des Weltkrieges

der Dynastie Ew. Majestät stehenden Länder und dadurch die Großmachtstellung 15 ihrer Gesamtheit ständig feststellte.« Das der Thronrede entnommene Zitat, das von der Großmachtstellung der Gesamtheit der unter der Regierung der Habsburger stehenden Länder sprach, wurde von der Antwortadresse in der Idee der gemeinsamen Sicherheit aufgelöst, dahin gedeutet, daß der Zusammenhalt, die gemeinsame Regierung für die ver­schiedenen Länder eine erfolgreiche Verteidigung gegen den gemeinsamen Feind ermöglicht. Das war jedoch lediglich eine juristische Umformulierung des Wesent­lichen, des tatsächlich unlösbaren Widerspruchs zwischen der Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit Ungarns und seiner Zugehörigkeit zu einer Monarchie, die Großmachtpolitik betrieb. Die Antwortadresse kehrt — gleichsam als Beruhigung — immer wieder darauf zurück, daß die ungarische Unabhängigkeit die Interessen des Reiches in keiner Weise bedrohe. »Wir haben bereits in unserer Adresse des Jahres 1861 erklärt daß wir den Bestand des Reiches nicht aufs Spiel setzen wollen.« »Wir verlangen keine politische Unmöglichkeit, wir wollen die Sicherheit des Reiches nicht gefährden . . .« Und in der Tat lag dies auch der politischen Konzeption Deáks fern, mehr noch der Gyula Andrássys, was klar aus ihrer Deutung der Begriffe Selbständigkeit und Unabhängigkeit erhellt. Auch der Verfasser der Antwort­adresse hegte Zweifel : wenn die verfassungsmäßige Selbständigkeit des Landes auch im Zeitalter der Pragmatischen Sanktion mit der Sicherheit des Reiches in Einklang gebracht werden konnte, wird dies durch die Veränderungen der euro­päischen Kräfteverhältnisse in den seither verflossenen fast anderthalb Jahrhun­derten nicht notwendigerweise illusorisch ? Es ist bezeichnend, daß Deák gerade in den Kämpfen dieser anderthalb Jahrhunderte die Bestätigung dafür erblickt, die Frage zu verneinen. In diesen Kämpfen — heißt es in seinem Adreßentwurf — konnte das Reich verteidigt werden ohne »daß damit Ungarns Selbständigkeit und gesetzliche Unabhängigkeit geschädigt werden mußte«. 16 Das Deáksche Ideal der Selbständigkeit der inneren Verwaltung und der außen­politischen Unabhängigkeit ist also das Ungarn der Pragmatischen Sanktion. Diese Form der Unabhängigkeit und Selbständigkeit wurde durch die Großmacht­ansprüche der Habsburgmonarchie tatsächlich nicht bedroht. 17 Obzwar sich Ferenc Deáks politische Vorstellungen von denen Gyula Andrássys nur in der Phraseologie unterscheiden — wie dies aus der obigen Parallele klar hervorgehen dürfte — war die Partei mit Deáks Politik unzufrieden. Viele waren der Meinung, der Umstand, daß der Adreßentwurf die Großmachtstellung der Monarchie nicht ausdrücklich betonte, werde die »vor allem erwünschte Ver­söhnung« ernstlich gefährden. Eigenartigerweise erblickten sie in Deáks Auf­fassung eine Rückständigkeit. Ein hervorragendes Mitglied der Deák-Partei fragte : »... und schließlich, wenn in der ganzen Welt neue politische Richtungen durch­dringen und von Pfaden, die seit dem Mittelalter bis zum Ende des vorigen Jahr­hunderts beschritten wurden, nun abgewichen wird, können dann wir allein uns an die althergebrachten Traditionen halten ?« 18 Das auf die Antwortadresse am 3. März 1866 gegebene königliche Reskript hat denen recht gegeben, die befürchteten, die Nichtbetonung der Großmacht-

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