Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 1. (Dritte Folge, 1902)
Hauptmann von Hoen: Der Strassenkampf in Paris am 28. und 29. Juli 1830
54 H o e n. Diese Vorkommnisse verursachten eine immer steigende Gährung. Als mittags eine Abtheilung Gendarmen die Schmähschriften auf die Minister in der Redaction des „Regénérateur” vön den Fenstern riss und confiscierte, strömte allseits das Volk herbei. Es kam zu einem Tumult, bei dem die Gendarmen von der blanken Waffe Gebrauch machten. Nun entstand im Palais Royal eine allgemeine Panik. Die Kaufleute schlossen die Läden, der Andrang vermehrte sich, endlich liess der Militärposten das Palais und den Garten räumen und vor der üblichen Zeit sperren. Gegen Abend rotteten sich Volksmassen zusammen, um die aus St. Cloud rückkehrenden Minister zu empfangen. Sie irrten sich im Wagffen, so dass dieselben unbehelligt ihr Palais erreichten, das sofort geschlossen und von Gendarmen bewacht wurde. So hatte es am 26. mit einigen Steinwürfen und den Rufen: „Nieder mit Polignac!” sein Bewenden. Dagegen wurde am 27., Dienstag, die Situation ernst. Verschiedene Arbeitgeber, voran die Buchdruckerei-Besitzer, hatten die Geschäfte geschlossen und den Bediensteten bedeutet, dass sie sich bei dem Könige ihren Unterhalt suchen sollten. Es wogte eine arbeitslose Menge durch die Strassen, in welcher die Agitatoren in voller Thätigkeit waren. Die seit dem Vorjahre betriebenen Aufreizungen trugen ihre Früchte. Bald mengten sich Studenten und andere junge Leute unter das Volk. Man hatte ein Schlagwort gefunden, das die leicht erregbaren Pariser begierig aufgrififen. Allüberall ertönte der Ruf: „Es lebe die Charte!” Freilich wussten die Wenigsten, was dies bedeutete. „Die Charte ist in Gefahr!” rief ein Arbeiter, als er auf den Sammelplatz eilte. „Was ist die Charte, guter Freund?” — „Ho — das weiss ich wohl. Die Charte ist das Gesetz, wonach der Wein vor den Barriéren um 2 Sous per Liter wohlfeiler sein soll, als in der Stadt1).” In vielen Schenken war freie Zeche für die Arbeiter. Die Dirnen aus dem Palais Royal spielten eine hervorragende Rolle, indem sie die jungen Arbeiter zum Kampfe reizten. Man streute die unsinnigsten Gerüchte aus, z. B. dass der ’) Wickede, III. Bel., 398.