Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 10. (Neue Folge, 1898)
Custine's Einbruch in Deutschland - Custine's Unternehmung auf Speyer
28 Christen. der Grenze seiner Besitzungen grosse Tafeln mit der französischen Inschrift auf: „Pfälzisch-neutrales Gebiet“; ja seine Behörden gaben französischen Spionen Pässe, die auf Pfälzer Officiere lauteten. In Churtrier dachte man nur an Flucht und Rettung. Zuerst der Minister, dann der Kurfürst eilten aus Coblenz stromabwärts, eine Menge wohlhabender Einwohner folgten, kein leeres Schiff durfte abfahren, damit man stets die nöthigen Reisemittel habe. Die Bürgerschaft sah diesem schamlosen Flüchten mit Unwillen zu und brach endlich in lauten Tumulten dagegen los. Es half aber wenig. Man hatte nur eine Compagnie Jäger in Coblenz; zwar langten am 12. October noch 1200 Mann aus Trier an und die Einwohner von Thal Ehrenbreitstein erklärten, sich zur Vertheidigung der Veste bewaffnen zu wollen; allein Regierung und Kriegsrath gaben ihr förmliches Gutachten dahin ab: Wenn der Feind anrückte, sollte man ihm durch eine Deputation eine Brandschatzung anbieten, ihm die preussischen Magazine in Coblenz überliefern und, wenn er es wünsche, auch den Ehrenbreitstein einräumen. Unter all’ dieser Verächtlichkeit klänge es fast komisch, wenn es nicht so beschämend wäre, dass Custine, eben in Speyer vom Pferde gestiegen, bereits ein Schreiben des Magistrates von Wetzlar empfing, worin dieser versicherte, „die Stadt sei im höchsten Grade neutral und habe keinen anderen Wunsch, als eine Schutzwache.“ Der französische Kriegsminister erhielt aus Deutschland Briefe, auf Grund deren er dem National-Convente die Hoffnung auf baldige neue Erfolge Custine’s in Deutschland ankündigte. Einzelnheiten aus diesen Briefen besagen, dass die deutschen Völker die Ankunft der französischen Armeen in aller Ruhe erwarteten und dass sie auf die Brüderlichkeitsgefühle zählten, welche die Neufranken mit allen unterdrückten Völkern verbänden ; dass, „als die Franzosen, 15.000 Mann stark, vor Darmstadt erschienen, die 3000 Mann (Darmstädter), welche sich vordem dort befunden hatten, nach Frankfurt, und von dort am 5. October nach Giessen zurückgegangen wären.“ Vom Frankfurter Magistrat wäre der französischen Armee Custine’s die Versicherung zugeschickt worden, dass diese „in Frankfurt nur Freunde finden *) *) Sybel, I, 584. — Speyer—Wetzlar circa 150 km; Mainz—Wetzlar etwa 70 km, Coblenz—Wetzlar etwa 70 km.