Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs 9. (Neue Folge, 1895)
Oberlieutenant Andreas Kienast: König Friedrich II. von Preussen und die Ungarn bis zum Hubertsburger Frieden 1762 - Friedrich II. Orientpolitik und Ungarn
306 K i e n a s t. ob sie später wiederkehre, wenn man sie haben wolle. Ob der Türke Oesterreich oder Russland angreife, sei gleichgiltig, sie müssten sich vermöge der Verträge beiderseitig helfen und so würden beide bald im Kampfe stehen Ein unvermutheter Türkenkrieg vernichte überdies die Finanzordnung der Kaiserin-Königin und zerstöre ihre Armee, denn es würden neue Schulden noth- wendig und der Stand der Dinge in Ungarn sei se hiún gesund. Wohl könne die Königin von Ungarn siegen, aber die Eroberung des unfruchtbaren Serbiens und die Zerstörung der Belgrader Werke sei zu theuer erkauft mit dem Ruin der Finanzen und der Armee. Es ist angesichts solcher Auslassungen wohl eine vergebliche Mühe der preussischenGeschichtsschreibung, die Sache so darzustellen, als habe sich Friedrich’s Orientpolitik der nächsten Jahre in erster Linie gegen Russland gerichtet;1) Oesterreich allein war ihr erstes Ziel, Oesterreich sollte 1760 von der Pforte nach dem Wunsche des Königs zuerst angegriffen werden. Denn !) Naudé in (1er Historischen Zeitschrift, 55, 430. Sie ist nicht einmal vom Standpuncte des europäischen Gleichgewichtes im Jahre 1756 so aufzufassen, wie Naudé ausfuhrt. König Friedrich II. hielt eine Vereinigung Frankreichs mit Oesterreich schlechterdings für unmöglich und glaubte sich durch England auch gegen Russland geschützt. Wohl hatte er seit November 1755 Kunde von den Verhandlungen des Wiener Hofes in Paris (Seite 343), aber die ihm ganz unfasslich scheinende Nachricht vom Versailler Vertrag erhielt er erst am 11. Mai 1756 (S. 444) und über Russlands Feindseligkeit gegen ihn ward er erst im Juni danach klar (S. 457). Und doch hat er seine Entwürfe zum Bündniss mit der Türkei schon Ende 1754 anfertigen lassen, als er noch mit Frankreich in Freundschalt lebte und bald sich die Anfänge des preussisch - englischen Westminster-Vertrages zeigen sollten. Was 1754 dem U eher gewichte Preussens über Oesterreich dienen sollte, ward allerdings nach dem 1. Mai 1756 zu einem Factor des Gleichgewichtes. Fast einzig das Bewusstsein, die Feindschaft Maria Theresia’s vollauf verdient zu haben und sich dagegen schützen zu müssen, war in der türkischen Frage sein Leitstern. Sagte er doch (1753) in der Einleitung zu den „General-Principien vom Kriege“: „Ich schreibe darin nur allein für Meine Officiers .... und stelle mir zugleich keine anderen Feinde vor, wie unsere Nachbarn, weil beide Worte unglücklicherweise Synonyma geworden und eins das andere in sich fasset.“ (Vergl. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaiten, III, 1938). Nun war damals Russland noch nicht der Nachbar Preussens; Polen ist wohl nicht gemeint, nur Oesterreich ist zugleich Nachbar und Feind.