Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs - Die Occupation Bosniens und der Herzegovina (1879)

Einleitung

Vorgeschichte. 11 Er verfügte deshalb die Aufhebung der von seinen Vorgängern den verschiedenen Priesterschaften je für ihre Religions-Verwandten er- theilten weltlichen Regierungs-Befugnisse. Die Patriarchen und der hohe Clerus sollten hinfort ausschliesslich geistliche und kirchliche Beamte sein und vom Staate ihre Besoldung erhalten; die weltlichen Geschäfte der Rajahs sollten durch einen aus ihrer Mitte zu wählenden, aus Geistlichen ünd Laien bestehenden Rath besorgt werden. In Bezug auf den Bau und die Reparatur von Kirchen, welche die frühere türkische Gesetzgebung fast unmöglich gemacht, verhiess der Hatt allerlei Erleichterungen, erklärte jede administrative Bevorzugung der einen Nation vor der andern hinfort für unzulässig, verpönte streng die seither bei den Muselmanen gang und gäben verächtlichen Be­zeichnungen der anderen Religions-Genossenschaften, namentlich des sogar in die Amts- oder Kanzleisprache aufgenommenen Giaur, Kiafir für Christ und Tschifut für Jude etc. Nicht minder proclamirte das Schrift­stück die unbeschränkteste Gewissensfreiheit mit der Bestimmung, dass Niemand, also auch nicht der zum Christenthum übergetretene geborne Muhammedaner, zum Religionswechsel solle gezwungen werden können. Es folgen nun Bestimmungen über die staatsbürgerliche Gleich­heit der Muselmanen und Nicht-Muselmanen; im Gegensätze zu der früheren Einrichtung, gemäss welcher die gesammte Staatsverwaltung türkisch gewesen war, wurden die sämmtlichen Unterthanen des Reiches für fähig erklärt, vom Sultan zu den Civilämtern berufen zu werden. Auch sollte jeder türkische Unterthan, ohne Rücksicht auf Religion und Herkunft, Aufnahme in den zu begründenden Staats- Bildungsanstalten finden, um sich die für den Staatsdienst erforder­lichen Kenntnisse zu erwerben. Gemischte, d. h. muhammedanisch- christliche Tribunale sollten hinfort in Rechtsstreitigkeiten aller Art zwischen Muselmann und Nicht-Muselmann entscheiden; die Straf­anstalten sollten verbessert und überall eine gute Polizei eingeführt werden. Zu den Bestimmungen über die Emancipation der Christen gehörte auch die Verordnung über ihre Theilnahme am Kriegsdienst; es wurde dabei der Stellvertreterkauf gestattet und ein erschöpfendes Gesetz über die Materie in Aussicht gestellt. Ferner wurde eine Reform der Provinzial- und Gemeinderäthe zu Gunsten einer wirk­sameren Vertretung der christlichen Körperschaften beschlossen und festgesetzt, dass fremdherrliche Unterthanen unter gewissen Bedingungen in der Türkei Grundstücke erwerben können. Das Steuerwesen, nament­lich die Steuereinhebung sollte verbessert, Arbeiten von öffentlichem Nutzen gefördert, ein regelmässiges Jahresbudget aufgestellt, Delegirte der Rajahs in den Staatsrath berufen, Bestechlichkeit strenge bestraft und endlich der Münzen- und Valuta-Verbesserung, dem Strassen- und Canalbau besondere Sorgfalt zugewendet werden. Diese von dem inneren Staatsrechte der Türkei, wie es aus der Religionslehre und Geschichte hervorgegangen war, so energisch sich lossagenden Verheissungen standen mit der ausserordentlichen politischen Lage des Augenblickes, d. h. der jeder Vergewaltigung Thür und Thor öffnenden militärischen Stellung der alliirten Mächte von 1856

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