Mittheilungen des k.k. Kriegs-Archivs 2. (1877)
Beiträge zur vaterländischen Geschichte. II. Major Moriz Edlen von Angeli: Die kaiserliche Armee unter dem Ober-Commando des Markgrafen Ludwig von Baden in den Feldzügen 1689-92 gegen die Türken - B. Der Feldzug 1690 in Serbien und Siebenbürgen
220 Beiträge zur vaterländischen Geschichte. trugen. Verführt durch die scheinbare Gunst der Situation und die errungenen Vortheile des letzten Feldzuges, erachtete man die Pforte so aller Lebenskraft bar, dass man einen ernsten Widerstand derselben für unmöglich hielt und mit Zuversicht glaubte, es bedürfe nur eines verhältnissmässig geringen Anstosses, um das in seinen Grundfesten wankende Türkenreich zu zertrümmern. Diese Anschauung der herrschenden Partei in Wien, der sich auch der Kaiser zuneigte, erhielt noch eine neue Stütze durch die Capitulation der von den Grafen Adam Bathyany und Stefan Zichy seit Langem blokirten Festung Kanizsa. Nach wie vor blieb daher das unverrückte Festhalten aller gemachten Eroberungen das Losungswort, der ideale Schwerpunkt künftiger Operationen, die man in offensivem Sinne an die bulgarische Morava und die Hämuslinie verlegt wissen wollte. Die Friedensverhandlungen mit der Pforte wurden unter den verschiedensten Vorwänden hinausgezogen, die türkische Gesandtschaft selbst auf das Verletzendste behandelt, so dass sie der That nach mehr Gefangene des Kaisers als die Vertreter einer Macht waren, mit der man sich in einem noch keineswegs entschiedenen Kriege befand. Unter solchen Verhältnissen war es nur natürlich, dass weder die warnende Stimme des Markgrafen Ludwig von Baden, noch die vereinzelnten Bemühungen des Hofkriegsraths-Präsidenten Ernst Rüdiger Grafen Starhemberg durchdringen konnten. Man neigte sich weit eher den optimistischen Auffassungen des FML. V e t e r a n i zu, der so sehr von der gänzlichen Hilflosigkeit der Türken überzeugt war, dass er an Baron Scalvinoni, den geheimen Zahlmeister des Kaisers, schrieb: er könnte mit 12.000 Mann und der Hilfe des überall leicht hervorzurufenden Aufstandes der christlichen Bevölkerung „bis nach Constantinopel kommen und die Türken nach Asien jagen ’)“. Weiterblickende theilten freilich diese Ansicht nicht, aber sie blieben der herrschenden Strömung gegenüber ohne Einfluss. Der Hofkriegsrath selbst war wohl in seiner Mehrheit für den Frieden mit der Pforte, um dadurch mehr freie Hand am Rhein zu erhalten; insofern es sich aber um die Fortsetzung des Kampfes handelte, schloss auch er sich den Vertretern einer unbedingten Offensive an. Der Markgraf von Baden, welcher mit hellem Blicke sowohl die politische als auch die militärische Situation erfasste und sich durch keine illusorischen Voraussetzungen von dem abbriagen liess, was seine gründliche Kenntniss der Verhältnisse und vorurtheilsfreie Beurtheilung als recht erkannte, erhob mannhaft seine Stimme für den Frieden oder doch eine den Thatsachen angepasste Festsetzung der künftigen Operationen. ') Veterani’s Feldzüge (eigene Memoiren). S. 58.