A Debreceni Déri Múzeum Évkönyve 1999 (Debrecen, 2000)

Néprajz - Vajda Mária: „Gevatterin, gib mir Quartier ...” Beiträge zur sexuellen Beziehung von Pate und Patin in der ungarischen Volkstradition

Auch unter den aus den unterschiedlichen Teilen des ungarischen Sprachraumes stammenden Volksliedern finden wir zahlreiche Beispiele, die teils auf symbolischer Ebene, teils mit großer Eindeutigkeit, unmissverständlich auf eine körperliche Beziehung zwischen Patin und Pate, auf die Treulosigkeit und Flatterhaftigkeit der Patinnen verweisen. Auch in dem im Titel zitierten Volkslied „Gevatterin, gib mir Quartier ..." geht es nicht einfach um die Bitte um Quartier, sondern das Lied ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Aus den weiteren Zeilen des Liedes geht hervor, was der Pate, der die Initiative ergreift, eigentlich möchte: „Meinen Karren in den Schuppen! Wo die Räder hinkommen, ist egal, Hauptsache, die Stange ist am richtigen Platz." In der Volkssymbolik steht der Karren mit seinen zwei Rädern für die Hoden, die vorstehende Stange für den Phallos. Und nicht zufällig kommt auch im Volkslied die Gevatterin als zum sexuellen Verhältnis „Aufgeforderte" vor. Die zahlreichen erotischen, derben Texte der Hochzeitsjauchzer (für sie gibt es mehrere Bezeichnungen: csujjogatók, rikótozás, kurjantás, hujjintás) machen sich mit eklatanter Derbheit und Prägnanz über das sexuelle Verhältnis zwischen Pate und Patinnen lustig. Auch unter den Gedichten der innerhalb der folkloristischen Gattungen eine spezifische Gruppe bildenden, sogenannten „Lachendes-Grabholz-Dichtung" finden wir welche, die das sexuelle Ver­hältnis zwischen den Taufpaten karrikieren, indem sie entweder eindeutig auf das Faktum verweisen, oder das Wesentliche in humorvoller Zweideutigkeit spiegeln. Natürlich wurden diese Grabinschriften nie wirklich in Grabhölzer geschnitzt, die Texte beziehen sich nicht auf wirkliche Tote, sondern unterhalten als Teil der Unterhaltungsliteratur die Hörerschaft, indem sie sich über die Erscheinung lustig machen. Auch unter den mit pikanter Zweideutigkeit formulierten, aber tatsächlich auf eine andere Lösung verweisenden findigen Fragen finden wir mündliche Rätsel, die auf das spezifische Verhältnis von Pate und Patin verweisen. Neben den Daten der übertragen zu verstehenden Volksdichtung beweist eine stattliche Zahl von Beispielen auf Basis der schriftlichen Quellen und der rezenten Tradition, dass das sexuelle Verhältnis zwischen Paten und Patinnen in den verschiedenen Teilen des historischen Ungarns im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte eine aufdeckbare Praxis war. Nach den gefundenen Daten zu schließen hält sich vom 17. Jahrhundert praktisch bis heute der eine profane Religosität spiegelnde Glaube, wonach die sexuelle Beziehung zwischen Patin und Pate keine Sünde sei, ja sogar derjenige, der nicht dementsprechend handle, nicht ins Paradies komme und dafür im Jenseits büßen müsse. Sowohl die reformierten als auch die katholischen Gemein­schaften behandelten die sexuellen Beziehungen zwischen in patenschaftlicher Beziehung zueinan­der Stehenden mit Nachsicht. Als besonders häufig gilt dieses Verhältnis in Sárköz, in den Gemeinschaften einer der Gegen­den Ungarns, die bekannt sind für ihre charakteristische, spezifische Geburtenregulierung, ihre freiere Lebensauffassung und ihren Wohlstand, wo das Einzelkind die gesunde Entwicklung des Familienlebens verzerrte und sich eine spezifische „Weiberherrschaft" herausbildete. In Sárköz ver­zerrte sich die alte moralische Ordnung, drückte die öffentliche Meinung denjenigen gegenüber, die gegen die alten moralischen Gesetze und Regeln verstießen, die Augen zu. Der Ehebruch wurde zu einem gesellschaftlich tolerierten Phänomen, vor allem unter den Wohlhabenden. Nicht selten hatten sowohl der Ehemann als auch die Ehefrau Geliebte. Sie achteten aber auf den äußeren Schein. Die sexuelle Beziehung zwischen Pate und Patin hielt man für die nahe liegendste und mit der geringsten Gefahr verbundene. Wie auch in anderen Teilen des Landes war es auch hier Sitte, dass es sich in Abwesenheit des Ehemannes für fremde Männer nicht ziemte, das Grundstück zu betreten, was dage­gen dem Paten freistand, denn die Institution der Patenschaft diente auch als Basis der Hilfeleistung. Die wohlhabenderen, zu Bürgern gewordenen Bauern in Sárköz baten 5 bis 10 Ehepaare, die Pa­tenschaft ihrer Kinder zu übernehmen. Es wurde angenommen, dass es leichter sei, unter diesen einen Liebhaber/eine Geliebte zu finden. 226

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