Gunda Béla et al. (szerk.): Ideen, Objekte und Lebensformen. Gedenkschrift für Zsigmond Bátky - István Király Múzeum közelményei. A. sorozat 29. (Székesfehérvár, 1989)

Eszter Kisbán: Aufhahme des Zuckers in die bäuerliche Nahrungskultur in Ungarn

1850 in der gereimten Ankündigung des Strudels eine ganze „Kuchengeschichte“. Darin stand u. a„ daß bei den Bür­gern damals gar viel teures neues Gebäck und verschiedene Torten in Modewaren, der Brautführer aber beim Hochzeits­mahl reicher Bauern auch weiterhin nur Strudel auftischt (Egyed 1852, 11). Der Begriff der Torte war in Ungarn bei den Oberschich­ten im 19. Jahrhundert von den frühneuzeitlichen zu den modernen Formen in Umwandlung begriffen. Grillage erschien erstmals in einem um 1795 herausgegebenen Koch­buch (Gundel 1943, 358—361), die Buttercremefüllung für Torten und Gebäck wurde Mitte des 19. Jahrhunderts nach französischem Muster von einem hauptstädtischen Zuckerbäcker eingeführt (Gundel—Harmath 1979, 15). Die modernen bürgerlichen (Torten-)Formen waren schon fix und fertig, als bei den Bauern die zweite Welle der Einführung von Torten erst begann. Im Marktflecken Kiskunhalas, 20 km von der bereits erwähnten Ortschaft Kecel entfernt, wurden 1890 zum Hochzeitsmahl „stellen­weise auch Torten gegeben“. Dies galt damals als eine neue Speise und wurde am Ende der aus neun traditionel­len Gerichten bestehenden Speisenfolge aufgetischt; nicht einmal der Brautführer hatte dazu einen passenden Vers (Thury 1890, 399). Quellenbelegen ist zu entnehmen, daß es hier vor einigen Jahren noch keine Torte gab (Baksay 1891, 87—88). Anfangs war die Torte ein weiteres Gericht, der herkömmlichen Speisenfolge hinzugefügt; sie ersetzte weder den süßen Milchbrei noch den Kuchen, denn beide waren unverändert im Menü enthalten. Seit den 1890er Jahren ist eine kontinuierliche Verbrei­tung der Torte bei den Bauern zu beobachten. In einigen Fällen sind auch die Umstände der Anfänge bekannt. Im Dorf Alsónémedi, nur 24 km von Budapest entfernt, er­schien die Torte erst in den 1910er Jahren auf dem Hoch­zeitstisch. Zunächst kaufte man sie beim Zuckerbäcker im Nachbardorf (Novák 1980, 300). Im Dorf Boldog (Kom. Heves) verbreitete sich die Grillage-Torte seit 1906. Damals hatte eine namentlich bekannte Bäuerin im Alter von 20 Jahren bei der Lehrerin eine aus der Zuckerbäckerei be­stellte, mit Grillage überzogene Torte gesehen. Sie begann diese zu imitieren, machte aber aus Grillage nur ein leeres Tortengerüst, welches sie dann dekorierte. Bald machte sie auch Torten auf Bestellung, nachdem sie auf dem Ver­suchsweg herausbekam, wie sie Tierfiguren, ein Menschen­paar oder eine Kirche nachbilden könnte. Alsbald brachte jede Frau, die zu einer Hochzeit geladen war, eine solche Torte mit sich, während die einzige Herstellerin je nach Bedarf Gehilfinnen anstellte (Palotay 1929). Mit Grillage konnte die Hauptfunktion der Torte, na­mentlich die Repräsentierung des gesteigerten Zuckerluxus, vorzüglich erfüllt werden; der Zucker blieb deutlich sicht­bar, ganz gleich, ob die Torte ausschließlich aus Grillage bestand oder nur damit überzogen war. In manchen Gegen­den erlernten nicht nur Spezialisten, sondern auch die mei­sten Hausfrauen die Zubereitung solcher Torten. Am Anfang des Jahrhunderts begannen die Töpfer hie und da neue Gefäße zur Formung des gebrannten Zuckers zu machen ; solche Gefäße wurden im Tiefland (Cegléd) und in Trans­danubien (Márkó) gleichermaßen benutzt. In vielen Gegen­den ist Grillage auch heute noch die beliebteste Hochzeits­torte; die Torte selbst gilt nach wie vor als der prestige­trächtigste Hochzeitskuchen. Im Umterschied zum gezuckerten Brei sowie zum frühen gezuckerten Kuchen und Gebäck bedeutete die moderne Torte nicht die Bestreuung einer alten Speise mit Zucker, sondern die Einführung einer ganz neuen Speise, auf Zuk­­kerbasis zubereitet. Gab es darin eine Mehlspeise, so ge­hörte sie noch dem Genre des Kuchens an, doch die Gril­­lage-Konstruktionen ohne Mehlspeise lösten sich auch von diesem los. Auch der gezuckerte Kaffee bei Bauernfesten stellte eine neue Qualität dar. Erstmals wurde darüber um 1850 aus Hochzeiten und Kirchweihfesten berichtet. In den darauffol­genden vier Jahrzehnten setzte sich der hochfestliche Kaffee erfolgreicher durch als die frühe Tortenwelle. Der Kaffee wurde zum Bestandteil der Brautführerbücher und bekam einen eigenen Vers. Allerdings enthielten nur 5 der 26 Braut­führerbücher aus den Jahren 1792—1914 einen speziellen Vers zum Kaffeeservieren, vier mit neuen Texten (1852, 1867, 1898, 1900/01) und davon nur zwei aus früherer Zeit (Kisbán 1987b). Diese Kaffeeverse brauchte der Brautfüh­rer nicht bei jeder Hochzeit aufzusagen, doch war er je­derzeit auf den Fall vorbereitet, da der Kaffee aufgetischt wurde. Im 19. Jahrhundert überschritt die Verbreitung des Kaffees nicht das punktuelle Auftreten unter den wohl­habenden Bauern. Diese wußten genau, daß das Kaffee­trinken ein bürgerliches Modell ist; doch vor 1890 bemühte sich die ungarische Bauernschaft gar nicht, in den expressi­ven Bereichen der Kultur bürgerliche Formen einzuführen. Aus einem tiefländischen Marktflecken kennen wir einen auf soliden Ortskenntnissen beruhenden Bericht darüber, daß die Bauern, die bei der Hochzeit auch Kaffee servierten, diesen nur ihren bürgerlichen Gästen anboten (andere beanspruchten ihn ja gar nicht), gleichsam um zu zeigen, daß sie wissen, wie sich’s gehört, und auch imstande sind, einen guten Kaffee zu kochen (Baksay 1891, 83—84). Seit der Jahrhundertwende begann sich die Bauern­schaft nach der bürgerlichen Lebensweise zu orientieren. Dies ermöglichte den raschen Erfolg der Torte, die zum echten Symbol dieser Phase der Einführung des Zuckers wurde. Die weitere Verbreitung des Kaffees weist ein gar buntes Bild auf — eine spätere Welle der Verbreitung des hochfestlichen Getränkes läßt sich nicht bestimmen. Seit der Jahrhundertwende vermischte sich der Morgenkaffee mit dem hochfestlichen Kaffee, das Prestige-Getränk mit dem Trank der Frauen und der Armen (Kisbán 1987a). Steigender Zuckerkonsum nach 1900 Die Hauptrolle im Anstieg des durchschnittlichen Zuk­­kerkonsums von 4 auf 8 kg seit 1900 bis 1914 spielte die Einschaltung der bäuerlichen Schichten in den regelmäßi­gen Zuckerverbrauch wider. Der Zucker erreichte nach den hohen auch die niedrigen Feste, die Sonntage und allmäh­lich den Alltag. Seit den 1910er Jahren liefen mehrere Wel­len der Zubereitung neuen, gezuckerten Kleingebäcks durch weite Landschaften. Im allgemeinen begann erst nachher die Zubereitung von gezuckertem Obstmus und noch später die des Eingemachten. Doch am Vorabend des Zweiten Weltkrieges war die Zuckerkonsum der Bauernschaft noch immer recht niedrig, und dies hielt den landesweiten Jah­resdurchschnitt bei 11,45 fest. Bei einer unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur betrug gleichzeitig 285

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