A Herman Ottó Múzeum Évkönyve 30-31/1. (1993)

OROSZ György: „Add nekik a te szent nevedet”. Zarándok-énekesek és énekes vándorkoldusok a Kijevi Ruszban

„GIB IHNEN DEINEN HEILIGEN NAMEN" - PILGER­SÄNGER UND SINGENDE WANDERBETTLER IN DER KIEWER RUS' (Auszug) Das Kiewer Fürstentum, der erste russische Staat, trat mit der offiziellen Über­nahme des Christentums im Jahre 988 in die Gemeinschaft der christlichen Zivilisation ein. Die Christenheit der Rus' war keineswegs frei von heidnischen Vorstellungen und Lebensinhalten. Heidnische Elemente verbanden sich mit dem christlichen Glauben, und auf diese Weise bildete sich ein spezifisches Ethos, der heidnisch-christliche religi­öse Synkretismus heraus. Die großrussischen geistlichen Volksgesänge (duchovnye stichi), die an der Grenze zwischen der Folklore und der schriftlichen Literatur liegen, ermöglichen uns ein besse­res Verständnis dafür, wie sich im Bewußtsein der mittelalterlichen Russen die Aspekte der heidnischen und der - kanonischen und apokryphen - christlichen Kultur miteinan­der verbanden. In der ältesten Schicht der geistlichen Volksgesänge sind Spuren von kosmogonischen, anthropogonischen und Initiationsmythen nachzuweisen. Es kommt in ihnen auch zum Ausdruck, daß der heidnische Fruchtbarkeits- und der Erdekult auf christlichem Boden wiedergeboren wurden. Bestimmte Liede 4 r christlichen Inhalts wur­den mit heidnisch-christlicher synkretischer Schlußformel versehen, und auf solchem Wege entstanden Beschwörungslieder-Gebete gemischter Bewußtseinsform. Die einstigen Träger dieses heiligen Liedguts, die der kirchlichen Jurisdiktion unterlagen, wurden mit den folgenden Namen benannt: kalika/kaleka, palomnik, stran­nik/storonnik, piligrim. Der Kern der Bedeutung dieser Wörter ist 'Wanderer, Wallfah­rer'. Die Darsteller der geistlichen Volksgesänge aus späteren Zeiten, die blinden oder verkrüppelten Wanderbettler, welche vor der bolschewistischen Oktoberrevolution (1917) noch überall in Rußland zu sehen waren, können nicht ohne weiteres den ursprünglichen Trägern dieser Liedtradition gleichgesetzt werden. Es ist das Anliegen dieser Arbeit, die Entstehungswege der großrussischen geistli­chen Volksgesänge und die Herausbildung ihres Sängerstandes aufzudecken. György Orosz 255

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