Müller-Walter Judit: Mehr als Lebensgeschichten. Schicksale (Pécs, 2010)

An den Leser Diese Veröffentlichung wirft Licht auf ein schändlich verschwiegenes Kapitel neuester ungarischer Geschichte. Schwäbische Frauen der Branau "berichten über ihre Verschleppung, über ihr Überleben und über die enge, unerschütterliche Solidarität unter Menschen und Nationen. Judit Müller hat eine ausserordentliche Aufgabe auf sich genommen als sie sich diesem Forschungsthema zuwandte. Sie setzte sich mit einer seit sechzig Jahren vergangenen und mit erschütternden Schicksalen verknüpften Geschichte auseinander als sie die heute bereits sehr betagten Frauen und Männer über "Malenkij Robot", die Zwangsarbeit und die grausamen Tage der Zwangsumsiedlung befragte. Mit einem ausgeprägten Fein- und Mitgefühl und ihrem schwäbisch-deutschem Sprachwissen gelang es ihr, die seit sechs Jahrzehnten zum Schweigen verurteilten, welche über diese Begebenheiten wenn überhaupt, meist nur im engstem Familienkreis gesprochen haben, wieder zum Reden zu bringen. Ihre einzige Überlebenschance war das Schweigen, ihr Lebensziel war das Vergessen. 40 Jahre lang wurde dieses Thema tabuisiert. Judit Müller initiierte die Erschliessung beinahe im letzten Moment. Sie begann ein Kapitel der Geschichte zu erforschen, von dem man wusste, aber welches nie durchleuchtet wurde, und dessen Bedeutung weit über die Schicksale der lokalen Gemeinschaften hinsausweist. Ihre Strategie war stetig Fragen zu stellen. Die Sammlung der wenigen Dokumente, die Ordnung der erzählten Erinnerungen, die mozaikartige Zusammensetzung der einzelnen persönlichen Darlegungen und die Entwirrung der erschütternden Geschichte, benötigte viel Sachkenntnis und Erfahrung. Ortskunde und eine grundlegende Menschenkenntnis waren unabdinglich bei den nachhakenden Fragestellungen, durch die sich das Gewebe tragischer Erinnerungen wob. Die Sammlung sichert Dokumente von hohem historischem Wert und eine unersetzliche Fülle von Tonmaterial für all jene, die sich mit der schwäbischen Sprache Ungarns im 21. Jahrhundert beschäftigen möchten. Diese Sammlung ist frei von Übertreibungen und ideologischer Fehlinterpretation. Diese Sammlung lässt jene, die bisher geschwiegen haben zu Wort kommen und ermöglicht die ungeschönte Begegnung mit der Vergangenheit. Sämtlichen Teilnehmern an dieser Sammlung gebührt Ehre und Dank, denn mit ihrer moralischen Haltung haben sie weit mehr als nur historisches Wissen an die Nachwelt weitergegeben. Julia Fabényi Direktorin der Museen des Komitats Baranya

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