Győry, Tiberius von dr.: Semmelweis' gesammelte Werke (Jena, 1905)

Semmelweis' Abhandlungen und Werk über das Kindbettfieber

„Muthmasslich kommen in allen Gebärkäusern. in welchen Hebammen unterrichtet werden, und wo eine cadaveröse Infection nicht leicht möglich ist, weniger Sterbefälle vor als in jenen, in welchen Aerzte unterrichtet werden,“ begründeten, darüber wolle der Leser Seite 172, Zeile 28, angefangen, nachlesen. Wir wollen sehen, was Carl Braun gegen unsere These in dem statistischen Theile seines Aufsatzes einzuwenden hat. Um zu zeigen, dass in Hebammenschulen ebenso gross die Sterb­lichkeit sei, als in Schulen für Aerzte, führt er die Maternité zu Paris an, in welcher nur Hebammen gebildet werden, und wo eine Leichen- infection durch Aerzte und Hebammen nicht stattfinden kann, und Dubois’ Klinik, wo sich die Schüler während des Curses mit Operations­übungen beschäftigen, in dessen Nähe sich auch die Sectionskammer befindet, und dennoch herrsche in beiden Anstalten eine gleich grosse Sterblichkeit. Wir haben nachgewiesen, dass sich die Schülerinnen der Maternité die Hände in dem Grade mit zersetzten Stoffen verunreinigen wie die Schüler Dubois’, und daher die gleich grosse Sterblichkeit. Um zu zeigen, dass Gebärhäuser, welche keine Unterrichtsan­stalten sind, auch eine grosse Sterblichkeit haben, führt Carl Braun das Hospital Beaujou in Paris an, in welchem Í6°/n Wöchnerinnen starben, ungeachtet Niemanden Unterricht ertheilt wird. Es werden hier aber auch alle von der Geburt Ueberraschten aufgenommen. Der Leser weiss, dass das St. Rochus-Gebärhaus zu Pest auch keine Unterrichtsanstalt ist, und dass es dennoch eine grosse Sterb­lichkeit hatte, weil der Primar-Geburtsarzt gleichzeitig chirurgischer Primarius und Gerichtsanatom war. Da ich in der Literatur nirgends einen näheren Aufschluss über die Verhältnisse dieser Anstalt finden konnte, so wendete ich mich brieflich in dieser Angelegenheit an Professor Dietl in Krakau, und erhielt folgende Antwort: „Meines Wissens besitzt Beaujou in Paris durchaus keine geburtshilfliche Abtheilung. Vermöge einer humanen Bestimmung besteht dort nur der Usus, dass erkrankte Säugende selbst mit ihren Säuglingen aufgenommen werden, wenn sie dieselben mit ins Spital nehmen wollen, um eben hiedurch eine eventuelle Ex­clusion solcher Kranken zu verhüten. Sie besitzen abgesonderte kleine Säle zu 4 bis 6 Betten, und sind von anderen Kranken ganz abge­sondert, um diese durch die Kinder nicht zu beunruhigen. So viel ich mich zu erinnern weiss, ist es ein Medicus der Ab­theilung, dem zugleich diese kleine Abtheilung solcher Krankenmütter zugewiesen ist.“ Obwohl Carl Braun 30 Ursachen des Kindbettfiebers aufzählt, hat er doch die 31. vergessen, denn dass das Ueberraschtwerden von der Geburt auch ein aetiologisches Moment des Kindbettfiebers sei, hat er vergessen in seiner Aetiologie zu erwähnen. Wir glauben freilich in Erinnerung der Gassengeburten zu Wien, dass das Ueberrascht­werden von der Geburt gegen Puerperalfieber Schutz gewährt. Den günstigeren Gesundheitszustand der englischen Gebärhäuser im A er- gleiche zu französischen und deutschen Gebärhäusern findet Carl Braun darin begründet, dass in englischen Gebärhäusern nur ver­heiratete Frauen aufgenommen werden, während in französischen und deutschen Gebärhäusern blos Ledige entbinden. Worin der günstigeie Gesundheitszustand der englischen Gebärhäuser begründet sei, haben Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers.

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