Győry, Tiberius von dr.: Semmelweis' gesammelte Werke (Jena, 1905)

Semmelweis' Abhandlungen und Werk über das Kindbettfieber

und werden, dass keine spontane Ventilation beim Oeffnen der Thüren wegen der Bauverhältnisse an der Klinik für Aerzte stattfindet, dass diese Abtheilung bis zum Jahre 1849 viel näher an die Krankensäle des jährlich über 20,000 Patienten verpflegenden Krankenhauses gränzte, so lässt sich daraus an der Schule für Aerzte ganz unge­zwungen eine um einige Procent höhere Differenzzahl der Mortalitäts­listen erklären, ohne zu der des directen Beweises entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothese der cadaverösen Infection flüchten zu müssen. Wir können daher keine zur Begründung der Hypothese der cadaverösen Infection vorgebrachte These nach den im Wiener Gebär­hause gemachten Beobachtungen in ihrem ganzen Umfange bestätigen, wir können die Beschäftigungen am Cadaver durchaus nicht als eine vorzügliche Ursache von Puerperalfieber-Epidemien in Gebärhäusern beschuldigen; wir würden es aber für die grösste Vermessenheit halten, mit Händen, die selbst nur nach der emsigsten Reinigung einen Leichengeruch bemerken lassen, eine Untersuchung oder Operation bei einer Schwangeren, Gebärenden oder Wöchnerin zu erlauben oder selbst vorzunehmen.“ Hierauf haben wir Folgendes zu erwiedern: Um aus unserm Thema: „muthmasslich kommen in allen Gebärhäusern, in welchen Hebammen unterrichtet werden, und wo eine cadaveröse Infection nicht leicht möglich ist, weniger Sterbefälle vor als in jenen, in welchen Aerzte unterrichtet werden“, die Frage heraus zu lesen: ob denn wirklich die ausgedehnteste Gebäranstalt der Welt an einer ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide? Dazu gehört ein Scharf­sinn, wie er nur Carl Braun eigen zu sein seheint. Wenn Carl Braun dafür in die Schranken trat, dass das Wiener Gebärhaus an keiner ganz ungewöhnlichen Sterblichkeit leide, so hat er an mir einen Kampfgenossen; wir selbst haben mit Entrüstung die Virchow- Veit’sche Beschuldigung einer erschreckenden Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses zurückgewiesen; die Sterblichkeit des Wiener Gebär­hauses ist nicht grösser als in allen Gebärhäusern, in welchen ähn­liche Verhältnisse herrschen, und wenn in Gebärhäusern, in welchen ähnliche Verhältnisse herrschen, weniger Wöchnerinnen sterben als im Wiener Gebärhause, so liegt der Grund darin, dass solche Gebär­häuser wegen grosser Sterblichkeit oft Monate lang geschlossen sind, was in Wien nie geschah, und darin, dass jede Wöchnerin, sobald sie verdächtig wird, in ein Krankenhaus transportirt wird, während solche Transferirungen in Wien immer nur ausnahmsweise geschahen. Wenn aber Carl Braun Umstände anführt, welche das Plus der Sterblichkeit an der Klinik für Aerzte zu Wien im Vergleiche zur Klinik für Hebammen erklären sollen, ohne zu der jeden directen Beweises entbehrenden, auf Vermuthungen basirten Hypothesen der cadaverösen Infection flüchten zu müssen, so findet er in uns den ent­schiedensten Gegner. Der Leser weiss, dass die beiden W iener Gebär­kliniken seit 1838, also bis zum Jahre 1859 durch 26 Jahre neben einander bestehen, dass in den ersten 8 Jahren ihres Bestehens bis zum Jahre 1841 die Grösse der relativen Sterblichkeit zwischen beiden Abtheilungen schwankte, und dass die durchschnittliche Sterblichkeit beider Abtheilungen fast gleich war. In den nächstfolgenden 6 Jahren bis zum Jahre 1847 war die absolute und die relative Sterblichkeit an der I. Klinik constant grösser, und die durchschnittliche Sterblich­26* Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers.

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