Győry, Tiberius von dr.: Semmelweis' gesammelte Werke (Jena, 1905)

Semmelweis' Abhandlungen und Werk über das Kindbettfieber

Stoff, aber nicht der zersetzte Stoff allein, welcher vom Cadaver kommt; der Leser weiss, dass es drei Quellen des zersetzten Stoffes gibt, und hier wird mehr aus dieser, dort mehr aus jener Quelle inficirt. In Wien war es unzweifelhaft der Cadaver, von welchem her am häufigsten inficirt wurde; vor 1823 gab es in Wien auch medicinische und chirur­gische Abtheilungen, der Leser weiss, in welchem Grade sich nach dieser Zeit in Folge der anatomischen Richtung der Medicin die Sterblichkeit des Wiener Gebärhauses steigerte. Im Pester St.-Rochus Spitale war es der zersetzte Stoff einer chirurgischen Abtheilung, mittelst welchen am häufigsten inficirt wurde, an der geburtshilflichen Klinik zu Pest waren es zweimal unreine Leintücher, woher die Infection kam; von Prag erzählt Chiari, dass zwei Kreissende, deren Genitalien während der Geburt Jauche absonderten, zweimal eine Puerperalfieber-Epidemie hervorbrachten etc. etc. etc. Der Träger des zersetzten Stoffes ist nicht blos der untersuchende Finger, sondern jeder Gegenstand, welcher mit einem zersetzten Stoffe verunreinigt ist und mit den Genitalien der Individuen in Berührung kommt. Zur Begründung seiner Ansicht stellt Semmelweis folgende Sätze auf: a) Die Sterblichkeit der Wöchnerinnen ist in der Wiener Schule, in welcher Aerzte, die sich mit pathologisch-anatomischen Unter­suchungen beschäftigen, unterrichtet werden, constant viel grösser als in der Hebammenschule. b) Das Waschen der Hände der Aerzte vor den Untersuchungen der Gebärenden mit einer Auflösung von Chlorkalk zerstöre allen an den Händen zurückbleibenden cadaverösen Geruch und sei ein Schutz­mittel gegen Puerperalprocesse, wenn nach Beschäftigungen am Cadaver geburtshilfliche Untersuchungen vorgenommen werden müssen. Auf diese zwei Punkte erwiedert C. Braun Folgendes: Ad a) und b) Während des Winters 1849 herrschte an der I. Gebärklinik unge­achtet der anbefohlenen Chlorwaschungen eine Puerperalfieber-Epidemie, welche im Beginne der besseren Jahreszeit im April ohne eruirbare Ursache aufhörte. Im Sommersemester kamen unter 1818 Geburts­fällen blos 29 Sterbefälle, mithin 1,5 °/0, vor, ungeachtet vom klinischen Vorstande Professor Klein der Unterricht ununterbrochen ertheilt und die Operationsübungen an Cadavern mit den Studirenden vom Assi­stenten fleissig vorgenommen wurden. Im Wintersemester 1849/50 trat wie gewöhnlich im Herbste das Puerperalfieber mit Heftigkeit auf, so dass auf 1888 Geburtsfälle 77 Sterbefälle, somit 2,0 % kamen. Diese Erscheinungen mussten den Glauben auf die Schutzkraft des Chlorkalks wesentlich erschüttern. Da nach Semmelweis’ Vorschlag eine Chlorkalklösung in ein offenes Gefäss (Lavoir) gebracht wurde, in welches alle anwesenden Studirenden ihre Hfinde einzutauchen und mit einer Nagelbürste zu reinigen hatten, ein sehr schwacher Chlorgeruch an diesem Desinfectionswasser, aber desto mehr Gyps im Bodensätze desselben angetroffen wurden, so liess man eine mit einem Pipette versehene und auch oben verschliessbare Kanne aus Glas im Geburtszimmer anbringen, in welche vor der Visite eine frische Chlorkalklösung eingebracht wurde, damit jeder Studirende vor oder nach jeder Untersuchung mit reinem, nach Chlor riechendem Wasser die Hände sich reinige. Bei der gewissenhaftesten Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers.

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