Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1850-1855. Geburtshelfer, Primararzt in Pest. Untätigkeit. Heiteres Leben. Anwachsen der gegnerischen Stimmen

105 Wöchnerinnen in den eng zusammenliegenden Gebäulichkeiten des Gebärhauses und Allgemeinen Krankenhauses und in der dadurch be­günstigten Erzeugung von Miasmen suchen zu müssen.*) Zu guterletzt erstand der Semmelweis’schen Lehre ein neuer Gegner, der mit den Jahren enorm an Einfluß gewinnen sollte, in Karl Braun, Professor an der Hebammenschule zu Alle Laste bei Trient, welcher vom ‘20. März 1849 bis Herbst 1853 — durch fast fünf Jahre — Klein’s Assistent gewesen war. Man mußte von vorneherein er­warten, daß Professor Klein nur einen solchen Arzt als Semmelweis’ Nachfolger zu seinem Assistenten machen werde, der, wie er, die ver­meintliche Entdeckung des Vorgängers für Humbug hielt. Die Chlor­waschungen wurden allerdings weiter angewendet, man mußte es, an­gesichts der allgemeinen Stimmung in Wien, aber die Überzeugung von der Richtigkeit und Notwendigkeit dieser prophylaktischen Maß­regel herrschte seit Semmelweis’ Abgang nicht mehr auf der Klinik. Semmelweis hatte seine guten Resultate nur durch unermüdliche Be­aufsichtigung des gesamten Personales und unerbittliche Strenge er­reicht. Unter Brauns Assistentur wurde der Gesundheitszustand auf der Klinik sofort ein anderer. Während Semmelweis auf zwei Monate hin- weisen konnte, in denen nicht eine einzige Wöchnerin am Puerperalfieber zugrunde gegangen war, starben noch im März 1849 20 Wöchnerinnen an der Krankheit. Diese plötzliche Zunahme der Sterblichkeit mußte selbst den verbissensten Gegner stutzig machen, da konnte aus dem Saulus und Neuling Braun noch ein Paulus werden. Es sollte anders kommen. Lumpe zog in seinem Vortrag vom 15. Juli 1850 als „Maximum der Sterblichkeit beim Gebrauch der Chlor­waschungen” gerade diesen Monat März 1849 mit seinen 20 Todesfällen heran. Semmelweis antwortete gereizt, es komme ganz darauf an, wie die Chlorwaschungen durchgeführt würden; dieser März sei nicht maßgebend, denn er sei überzeugt und es sei ihm auch berichtet worden, daß zur Zeit dieser großen Sterblichkeit, also nach seinem Ab­gänge, die Chlorwaschungen nachlässig gemacht worden seien. Damit erhob Semmelweis denselben Vorwurf gegen seinen Nachfolger, den seinerzeit Skoda mit demselben Recht gegen Scanzoni erhoben hatte, und wie dieser war Braun von nun an ein persönlicher Gegner von Semmelweis. In der im Jahre 1855 von Chiari, Braun und Spaeth heraus­gegebenen „Klinik der Geburtshilfe und Gynäkologie” erschien die erste Äußerung von Braun über Semmelweis’ Lehre — eine größere, zum Teil statistische Arbeit unter dem Titel: „Zur Lehre und Be­handlung der Puerperalprozesse und ihrer Beziehungen zu einigen zymotischen Krankheiten.” Darin heißt es unter anderem: „Die Mehrzahl hält gegenwärtig das Puerperalfieber für eine zymotische Krankheit akuten Charakters, welche, bei starker Prädisposition des Indivi­*) Ätiologie, p. 526.

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