Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

Das Urteil der Nachwelt

233 ich sie schrieb, hielt ich sie für wahr; nun aber bin ich vom Gegen­teil überzeugt.”*) Nachdem die bekanntesten Geburtshelfer immerfort in allen Büchern den Irrtum von der Leicheninfektion wiederholten, kann es nicht wundernehmen, daß jüngere Ärzte, welche aus diesen Werken schöpften, ahnungslos den Irrtum übernahmen und gleichfalls weiter­verbreiteten. So sprach Dr. Boehr in der Berliner Gesellschaft für Geburts­kunde am 26. Mai 1868 über „Die Infektionstheorie des Puerperalfiebers und ihre Konsequenzen für die Sanitätspolizei” und meinte: „Schon Semmelweis hat in seiner Schrift: „Der Begriff .... die Ein­seitigkeit seiner früher ausschließlich auf die Infektion mit Leichengift gerichteten Anschauungen dahin erweitert''' etc. Winckel wiederholte in der 2. (1869) und 3. Auflage (1877) seiner Pathologie des Wochenbettes den alten Irrtum. In der Frage der Über­tragung der Krankheit durch die Luft stellte er sich auf Veit’s Seite: „So notwendig eine gute Ventilation auch ist, so wird sie demnach doch nie imstande sein, der Verbreitung jener Puerperalerkrankungen in großen Gebärhäusern dauernd entgegenwirken, oder sie gar völlig avfzuheben (Braun). Die günstigen Desultate, welche man von den neuerdings in Wien angewandten Ventilationsvorrichtungen gesehen haben will, sind diesen entschieden nicht allein zuzuschreiben, denn diese Einrichtungen wurden erst im Jahre 1864 gemacht, während durch den Bericht von Spaeth festgestellt ist, daß in beiden Wiener Gebärkliniken schon 1863 ein Mortalitätsverhältnis von nur l’06°/0 vorgekommen war.” Die modernen Miasmatiker, die Miasma-Infektionisten Spaeth, Braun und S.canzoni hatten kein Glück mehr. Ihre Lockrufe ver­hallten, ihre Worte machten keinen mehr irre, wenigstens nicht in Deutschland. Ein neuer talentvoller Jünger erstand der Semmelweis’schen Lehre in Dr. Karl Schroeder, Professor in Erlangen, welcher in seinem Lehrbuch der Geburtshilfe (1871) folgendes bemerkte: „In der neuesten Zeit hat indessen die auch in diesem Buche vertretene Ansicht von der Entstehung des Puerperalfiebers, nach der dasselbe nichts als die Resorption septischer Stoffe von einer Wundfläche aus ist, immer mehr an Boden gewonnen .... In der Tat, wer die unten zitierten Arbeiten von Veit und Hirsch aufmerksam durchliest und die Möglichkeit der Ent­stehung des Puerperalfiebers durch Resorption zersetzter organischer Stoffe noch bezweifelt, der ist nicht zu überzeugen .... Entstanden ist diese Er­klärung des Puerperalfiebers auf englischem, weiter ausgebildet auf deutschem Boden. Der erste, der aussprach, daß das Kindbettfieber zuweilen durch Arzte und Hebammen, welche Puerperalfieber zu behandeln haben, auf andere Wöchnerinnen übertragen werde, war Denmann. Sehr bald häuften sich in England die Beweise für die manuelle Übertragbarkeit der Krankheit und eine große Anzahl von Beobachtungen wurde beigebracht, in denen Wöchne­rinnen nicht bloß von Puerperalfieberkranken, sondern auch von Kranken mit phlegmonösem Erysipel oder jauchigen Wunden durch die Hand des *) Puschmann, Mediz. in Wien.

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