Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1860-1863. Die "Ätiologie des Kindbettfiebers". Offene Briefe. Verhandlungen der St. Petersburger Gesellschaft der Ärtze

186 zahlreichen Erkrankungen, welche in dem dortigen Gebärhause vor­kamen, die Anordnung, daß jede Leiche einer Wöchnerin sofort aus dem Gebärhause entfernt werde, und daß die Nachgeburten nicht mehr, wie es bisher geschehen war, in den Abtritt geworfen, sondern aus dem Hause geschafft werden sollten; strengste Reinlichkeit in allem und jedem wurde gefordert und die Waschung mit Chlorkalk dem ge­samten Personal zur Pflicht gemacht. Wie mit einem Schlage waren nun die sogenannten Epidemien verschwunden! Nur einzelne leichte Erkrankungen kamen noch vor und von 300 Wöchnerinnen starb nur eine einzige an Puerperalfieber. Auch Semmelweis konnte mit dem Gesundheitszustand seiner Wöchnerinnen zufrieden sein. Im Schuljahre 1860/61 hatte er keine einzige an Kindbettfieber leidende Wöchnerin! Auf Braun’s Ärzte- kiinik in Wien dagegen wütete im Herbst des Jahres 1861 wieder eine Pseudoepidemie — innerhalb 45 Tagen erkrankten 113 und starben 48 Wöchnerinnen —, welche ein derartiges Aufsehen erregte und zu so anklagenden Gerüchten Anlaß gab — eine Wirkung des Semmel- weis’schen Buches! —, daß der Vorstand der Klinik genötigt war, der Direktion des Allgemeinen Krankenhauses über den Verlauf der „Epi­demie” und die dagegen ergriffenen Maßregeln eingehend Bericht zu erstatten. Die Zeitschrift für praktische Heilkunde druckte diesen Be­richt zum Teil ab. Während der Gesundheitszustand bisher ein befriedigender war, „er­krankten am 22. Oktober zahlreiche WTöchnerinn en in allen fünf Wochensälen an typhösen fieberhaften Erscheinungen mit einer meistens binnen 2 bis 3 Tagen endenden Blutzersetzung, ohne daß sich eine vernünftige, in der Schule selbst zu ermittelnde Ursache auffinden ließ . . . Bei genauer Untersuchung zeigte sich nun, daß in der letzten Woche des Oktobers ein Zehntel der aufgenommenen Gebärenden heftig fieberte und ihre Krankheit in das Gebärhaus mitbrachte . . . Professor Braun fand sich daher veranlaßt, folgende außergewöhnliche Maßregeln zu treffen: 1. Allen Studierenden wurde jede Vaginalexploration vom 1. No­vember angefangen untersagt... 2. Alle Operationsübungskurse der geburtshilflichen Dozenten und Assistenten am Kadaver wurden vom 1. bis 15. November sistiert . . . 5 a. Obwohl verdünnte Lösungen von Chlorkalk in offenen Gefäßen von Autoritäten in der Chemie für unpassend zur Zerstörung organischer Stoffe und des üblen Geruches angesehen werden und ihre praktische Unwirksamkeit in Wien 1854—55, sowie an anderen Universitäten erwiesen wurde, so wurde dasselbe dennoch in die Waschbecken gebracht . . . c) WTurde zur Zerstörung des üblen, an den Händen haftenden Geruches das von Liebig empfohlene übermangansaure Kali angewandt . . . Trotz aller dieser oben angeführten außerordentlichen Maßregeln er­krankten vom 1. bis 15. November von 253 verpflegten Wöchnerinnen neuer­dings 48 . . .” Also, weil ein Zehntel der Gebärenden schon, an Puerperalfieber leidend aufgenommen wurde, führte man die Semmelweis’sche Prophylaxe ein, und trotz dieser gab es in den nächsten 14 Tagen wieder 48 Er-

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