Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1846-1850. Assistent in Wien. Entdeckung der Ursachen des Kindbettfeiebers. Erfolge und Verfolgungen. Dozent. Abreisen von Wien

9 Tätigkeit macht glücklich, doch bei Semmelweis mischte sich in seine Arbeitsfreudigkeit beständig der Schmerz, sehen zu müssen, wie viele seiner Pfleglinge trotz bester Fürsorge Tag für Tag von dem Würgengel Kindbettfieber dahingerafft wurden. Die Geburtshilfe liebte er als Arzt und Menschenfreund so sehr, weil man hier in vielen Fällen den Leidenden in Wahrheit zu helfen vermochte. Da konnte man durch operative Eingriffe Menschenleben tatsächlich retten! Da konnte der Arzt sich als Künstler betätigen, da gab es sichtbare Erfolge! Aber ach wie oft mußte er es mit ansehen, wie die Mütter, deren Leben er durch eine Operation gerettet hatte, nach­träglich an Kindbettfieber elendiglich zugrunde gingen! Und wieviel Hunderte von Wöchnerinnen ereilte dasselbe Schicksal, bei denen nicht die geringste Operation nötig gewesen war! Oft gerade die jugendlichsten, kräftigsten Mütter, die zum erstenmal einem Kinde das Leben geschenkt hatten! Und dabei alle Behandlung, die liebevollste Pflege vollkommen machtlos gegenüber der verheerenden Seuche! Wer von ihr ergriffen wurde, war fast sicher dem Tode verfallen. All den Jammer täglich, stündlich immer wieder erleben zu müssen, ohne Wandel schaffen zu können; blühende Menschenleben hinsterben zu sehen, ohne helfen zu können — für einen warmfühlenden Arzt wie Semmelweis ein hartes Los, eine Quelle stets erneuter Seelenpein! Sein Gemüt wurde von den nicht endenwollenden Sterbeszenen so erschüttert, daß die furchtbare, rätselhafte Krankheit schließlich seine Gedankenwelt vollkommen beherrschte, ihn unaufhörlich beschäftigte. Glücklichere Kollegen, die von Haus aus weniger mit Gemüt belastet waren, konnten inmitten solcher Todesorgien ohne Ende ihren Gleichmut bewahren, konnten sich damit befassen, neue Operations­methoden, neue Instrumente zu erfinden — Semmelweis aber blutete das Herz und all sein Denken heftete sich auf die Frage: Was ist das Kindbettfieber? Worin besteht sein Wesen, was ist seine Ursache? Mit wahrem Feuereifer warf er sich auf das Studium der Seuche. Am Krankenbett, im Seziersaal, am Büchertisch — immer galt sein Sinnen und Trachten dem Kindbettfieber, und bald kam er zu wichtigen Ergebnissen, zu Erkenntnissen, die der landläufigen Lehre über das Wesen der Krankheit völlig widersprachen. Was die hervorragendsten Vertreter der Geburtshilfe in Deutsch­land damals über das Kindbettfieber lehrten, faßt Hegar*) in folgender Übersicht kurz zusammen: „Man nahm ziemlich allgemein zwei Faktoren der Genese an, von denen der eine von außen her einwirkt, der andere in besonderen Zuständen des Organismus während Schwangerschaft und Geburt gelegen ist. Als äußeren Faktor beschuldigte man gewisse Einflüsse atmosphärischer, kosmischer und tellurischer Art, für welche man vielfach den Ausdruck Genius epidemicus gebrauchte. Einige hatten dabei mehr einfache Verände­rungen der genannten Potenzen, wie solche der Temperatur, des Feuchtig­*) Hegar: lg. Ph. Semmelweis. Sein Leben und seine Lehre, zugleich ein Beitrag zur Lehre der fieberhaften Wundkrankheiten. 1882.

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