Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1855-1857. Universitätsprofessor in Pest. Reformversuche. Rege wissenschaftliche Tätigkeit. Verheiratung. Allgemeine Verwerfung der Infektionstheorie

137 daß eine Übertragung von Leichengift nur ausnahmsweise stattfinden und niemals den Anschein einer epidemischen Krankheit hervorrufen könne. Und da auch in Hebammenlehranstalten und Privatwohnungen Puerperalfieber vorkomme, so könne die Leicheninfektion „auf die Genesis des Puerperalfiebers kaum den allergeringsten Einfluß aus­üben”. Die Sektionen von dem Personal des Hauses selbst machen zu lassen, erscheint ihm nur „unzweckmäßig”, und die Ärzte und Hebammen brauchen sich nur nach jedem Besuch auf der Abteilung der Puer­peralkranken „durch Chlorwaschungen, Umkleiden, Nagelbürsten usw. zu reinigen, bevor sie sich mit gesunden Wöchnerinnen in Berührung setzen’’. Sodann erschien Carl Braun’s „Lehrbuch der Geburtshilfe mit Einschluß der operativen Therapeutik, der übrigen Fortpflanzungs­funktionen der Frauen und der Puerperalprozesse”. Letzteres Kapitel ist zum Teil eine verkürzte Wiedergabe seiner früher erwähnten, in der „Klinik der Geburtshilfe” erschienenen Arbeit, doch die Ausdrucks­weise ist entschiedener, selbstbewußter. Während Braun in der „Klinik” sagte: „Die Mehrzahl hält gegenwärtig das Puerperalfieber für eine zymotische Krankheit akuten Charakters etc ”, führt er nun diese seine Definition auch wirklich als seine eigene an. Er erwähnt kurz der „Hypothese der kadaverösen Infektion”, nach welcher Leichen­teile und kadaveröser Geruch die Eigenschaft haben sollen, Puerperal­prozesse einzuimpfen. „Dadurch sollen die heftigsten Puerperalfieberepidemien hervorgerufen werden (?), und durch das Waschen der Hände der Ärzte vor den Unter­suchungen der Gebärenden mit einer Auflösung von Chlorkalk soll aller an den Händen zurückbleibender kadaveröser Geruch zerstört und darin ein Schutzmittel gegen Puerperalfieberepidemien zu suchen sein.*) In Deutschland, Frankreich und England wurde diese Hypothese der kadaverösen Infektion bis auf die neueste Zeit fast einstimmig verworfen. a) Die Puerperalfieberepidemien nehmen während der Chlor­waschungen nicht selten zu, nach Unterlassung derselben hören sie aber auch gewöhnlich bald auf. g) Dem Chlorkalk in wässeriger Solution werden von tüchtigen Chemikern alle Eigenschaften abgesprochen, die kadaverösen Mole­küle zu zerstören. Was den Geruch anbelangt, welcher nach Leichenunter­suchungen zurückbleibt, so ist gewiß, daß Chlorkalk diesen Geruch nicht wegnimmt. Da er selbst einen sehr heftigen und unangenehmen Geruch hat, so kann er den Kadavergeruch mehr oder weniger maskieren, aber niemals zerstören; der Kadavergeruch verschwindet vollständig erst nach einigen Stunden und dauert nicht selten länger als der des Chlors. ’ Semmelweis’ Name wird nirgends ausgesprochen, so daß derselbe auch in dem Autorenregister nicht vorkommt. Ein äußerst wichtiger Unterschied gegen Braun’s frühere Abhandlung ist die gänzliche \ er­*) Die Unrichtigkeit der Hypothese der kadaverösen Infektion, als Ursache von Puei - peralfieberepidemien, haben wir in dem früher schon zitierten Artikel über Puerperal­prozesse zu beweisen gesucht, worin alle neueren Schriftsteller uns auch beistimmen, daher wir diese Hypothese hier nur in Kürze berührten.

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