Schürer, Fritz von Waldheim dr.: Ignaz Philipp Semmelweis (Wien-Leipzig, 1905)

1855-1857. Universitätsprofessor in Pest. Reformversuche. Rege wissenschaftliche Tätigkeit. Verheiratung. Allgemeine Verwerfung der Infektionstheorie

120 Seine Opferwilligkeit, Strenge und Umsicht bewirkten, daß das erste Schuljahr (1855/56) äußerst glücklich verlief. Von 514 Wöchnerinnen starben zwei an Kindbettfieber, also nur 0-19%. In Wien war inzwischen Semmelweis’ erster und erbittertster Feind, Professor Klein, am 1. April 1856 im 69. Jahre gestorben. Die Direktion des allgemeinen Krankenhauses machte am 19. Juli folgenden Besetzungsvorschlag: 1. Professor Braun in Trient, 2. Professor Pachner in Laibach, 3. Dr. Habit, gleichfalls in Laibach.*) Das medizinische Professorenkollegium hingegen empfahl**) am 1. August primo loco Dr. Karl Braun, Professor in Trient; secundo loco Dr. Spaeth, Prof, suppl. an der Josephsakademie; tertio loco Dr. Lumpe, praktischen Arzt in Wien! Daß Semmelweis nicht nur nicht an erster Stelle, sondern überhaupt nicht vorgeschlagen wurde, war die recht persönliche, durchaus nicht edle Antwort des Wiener Professorenkollegiums auf Semmelweis’ Narretei vom Oktober 1850. Er hatte ihnen die Dozentur vor die Füsse geworfen; solcher Behandlung wollte man wohl nicht ein zweites Mal sich aussetzen. Er hatte aber auch alles getan, was nur möglich war, um in Wien in Vergessenheit zu geraten. Seit seiner kopflosen Flucht war er wie verschollen. Nichts hörte man von ihm, keine einzige Arbeit trug seinen Namen. Er hatte noch niemals eine Zeile veröffentlicht. Ein Forscher war er; als klinischer Lehrer hatte er sich bereits bewährt; aber mit der Feder stand er auf dem Kriegsfuße, und man wußte nicht, ob er überhaupt noch mit seiner Fachwissenschaft sich befasse. Konnte, durfte man einen solchen Mann für die erste Stelle des Reiches in Vorschlag bringen? Gewiß wäre in diesem außerordentlichen Falle die Wahl des urwüchsigen, Tinte und Druckerschwärze hassenden Forschers, des genialen Beobachters die einzig richtige gewesen! Doch leider hatte Semmelweis selbst seine Wahl nahezu unmöglich gemacht. Eine solche Selbstverleugnung, solch erhabene Gesinnung durfte man vom Professorenkollegium, von Skoda nicht erwarten. Skoda war auch nur ein Mensch. Semmelweis hatte aber in der Tiefe seines Herzens eine Berufung doch erwartet. Er sehnte sich zurück nach dem schönen, großen Wirkungskreise, in welchem er seine ersten überraschenden Erfolge erzielt hatte. Er mochte fühlen, daß er eine gar lange Zeit untätig- gewesen war, während z. B. sein jüngerer Kollege Braun eine ganze Reihe von Arbeiten veröffentlicht hatte. So veranlaßte er, um sich und seine Lehre wieder in Erinnerung zu bringen, seinen Assistenten Dr. Fleischer, einen statistischen Bericht über das Schuljahr 1855/56 der Wiener medizinischen Wochenschrift (1856, p. 534) einzusenden. Darin heißt es u. a.: „Von den erkrankten Wöchnerinnen starben 6; an Puerperalprozeß 2 *) Wiener medizinische Wochenschrift, 19. Juli 1856. **) Wiener medizinische Wochenschrift, 1. August 1856.

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