Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
Einleitung. 5 gewölbe“, die das einzigartige Repertorium des Putsch und besonders die Wechselbeziehung der Rückvermerke auf den Originalen zu diesem Repertorium bieten, einem bloß vermutungsweisen, wissenschaftlich höchst bedenklichen Herkunftsnachweis im wesentlichen auf Grund des Inhaltes (des Empfängers) der Urkunden opfern! Täte man dies aber auch, so wäre doch die Anwendung des Herkunftsgrundsatzes (Bd. I S. 10*) auf die so gebildeten Urkundengruppen meist nicht möglich. Denn der Herkunftsgrundsatz verlangt, daß Archivkörper in ihrer ursprünglichen Ordnung und organischen Zusammensetzung zu erhalten sind. Wenn nun aber eine solche Ordnung und organische Zusammensetzung nicht vorhanden oder wenigstens nicht erkennbar ist, so kann sie auch nicht erhalten oder wiederhergestellt werden. Man kann nicht von der Erhaltung oder Wiederherstellung eines Archivs sprechen, wenn es sich meist nur um einen ungeordneten Urkundenbesitz handelt: ein Haufen von Ziegeln ist noch kein Haus. Schließlich würde auch die konsequente Zusammenfassung von Urkunden desselben Empfängers gerade bei den im Mittelalter organisch erwachsenen Archivkörpern zu einer Vielheit von Provenienzen führen, die oft nur aus einer einzigen Urkunde beständen. Putsch hat, wie noch näher ausgeführt werden wird, den ganzen Urkundenbestand nach dem Inhalt in bestimmte Gruppen gegliedert. Oder vielmehr er hat die einzelnen Archivkörper und Urkundengruppen, die im Schatzgewölbe Aufnahme gefunden hatten, zum großen Teil beisammen gelassen, da ja ihre Urkunden, soweit sie gemeinsamer Herkunft waren, naturgemäß auch inhaltlich verwandt sein mußten, zum anderen Teil aber durch Hinzufügung und Abtrennung einzelner Urkunden nach den Gesichtspunkten der Verwaltung und der dynastischen Interessen mehr oder weniger in Betreffsabteilungen verwandelt oder in reine Betreffsgruppen aufgeteilt, ohne daß dies immer abschließend verfolgt werden könnte,1 da ja die provenienzmäßige Zugehörigkeit auch in dem von Putsch verfaßten Repertorium nicht eigens festgehalten ist und ältere, aus der Zeit vor Putsch stammende Archivvermerke auf den Urkunden selbst meist fehlen. Den einzigen Anhaltspunkt für die Bestimmung der archivalischen Herkunft bietet dann nur die Person des Empfängers, die aber, so wertvolle Aufschlüsse sie auch gewährt,2 bei dem steten Wechsel von Herrschaftsund Besitzverhältnissen allein keinen unbedingt schlüssigen Beweis für das Vorhandensein eines organisch erwachsenen Archivkörpers ermöglicht und daher auch nicht immer die Zuweisung eines Einzelstückes zu einem be1- stimmten Archivkörper gestattet. Bekanntlich finden sich in jedem wirklichen Archivkörper auch Urkunden für andere Empfänger, die aber in die Untersuchung der Provenienz nicht einbezogen werden können (außer mit Vorsicht gewisse bestimmungsgemäß ins Ausstellerarchiv zurückkehrende Urkundenarten). Festzuhalten ist jedenfalls, daß die neue Anordnung von Putsch sowohl in der Lagerung der Urkunden selbst als auch in den Archivvermerken und im Repertorium abschließend durchgeführt wurde. Dieses Ordnungsprinzip wurde auch in den zwei Jahrhunderten 1 Vgl. auch Bd. I S. 13*. 2 Diese werden in den folgenden Ausführungen auch ausgiebig verwertet.