Inventare Teil 5. Band 6. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1938)
Die Urkundenabteilung von Paul Kletler
66 Die Urkundenabteilung. daß Rudolf diese Urkunden erst gelegentlich seines Aufenthaltes in den Vorlanden im Jahre 1361, also zum Teil zwei bis drei Jahre nach ihrer Ausstellung, zu Gesicht bekam, wurden sie höchstwahrscheinlich sogleich im Wiener Schatzgewölbe hinterlegt; völlige Sicherheit in dieser Hinsicht gewinnen wir, wenn z. B. der Aufsandbrief des Grafen Simon von Tyrstein (Tierstein) um seine Lehen im Aargau und in Burgund von 1360 sogar in Wien ausgestellt ist! Diese Urkunde findet sich im Rosenthalschen Verzeichnis von 1751 (Reg. des StA. 6/1751), das einen noch größeren Prozentsatz von Urkunden Wiener Provenienz aufweist als das Repertorium VI (AB. 381): z. B. 17. März 1324 der oben erwähnte Vermächtnisbrief Johannas von -Pfirt auf Albrecht II., 1334 Bündnis des Bischofs von Konstanz mit den Herzogen Albrecht und Otto, 1337 Bündnis König Philipps von Frankreich mit denselben, 1347 Ludwig der Bayer für Herzog Albrecht und dessen Gemahlin Johanna (ihre „unverraiteten“ Amtleute sollen nirgends im Reich aufgenommen werden; Bestätigung der Landvogtei im Oberelsaß; beide Urkunden in Wien ausgestellt!), 1393 und 1394 Bündnisbriefe der Städte Konstanz, Basel, Ravensburg, Wangen, Buchorn und der schwäbischen Reichsstädte mit den Herzogen Albrecht, Wilhelm und Leopold; eigens hervorzuheben aber ist, daß sich unter den von Rosenthal gebrachten Urkunden gerade die Urkunden für das Gesamthaus befinden, die dessen Stellung in Österreich begründen, oder die das Territorium Österreich und seine Stellung im Rahmen des Reiches betreffen: kurz, die bedeutsamsten Dokumente der österreichischen Geschichte, wie die Belehnungsurkunde König Rudolfs für seine Söhne Albrecht und Rudolf vom 27. Dez. 1282, die angeblichen Originale des Privilegium maius von 1156 und 1245 oder die wichtigen Urkunden Kaiser Karls IV. für Albrecht III. und Leopold III. aus dem Jahre 1366 (die Bestätigung des Privilegium de non evocando, die Bestätigung aller Rechte und Freiheiten der österreichischen Herzoge, besonders ihrer Erbvogteien u. a.). Nun tragen aber alle diese Urkunden nicht den Wiener, sondern den Innsbrucker Putschvermerk, die Ladenbezeichnung des Innsbrucker Schatzgewölbes. Sie müssen also spätestens durch Putsch selbst nach Innsbruck gebracht worden sein. Putsch hat ja auch die Archivalien für Wien und Innsbruck gemäß den praktischen Bedürfnissen der Behörden im allgemeinen nach dem Betreff geteilt; auch abgesehen davon kamen damals mit einzelnen Abteilungen — z. B. mit der zwar im Wiener Putschrepertorium (AB. 333) eingetragenen, aber sogleich an die oberösterreichische Regierung abgegebenen Abteilung Kaiser und König1 — eine Anzahl Urkunden von ausgesprochen „Wiener“ Provenienz nach Innsbruck. Aber hiedurch ist die beträchtliche Menge von Wiener Schatzgewölbeurkunden, die 1751 und 1837 wieder zurück nach Wien gelangten, durchaus noch nicht erklärt. Die Hauptmasse dieser Urkunden ist sicher im Zusammenhang mit der Behördenorganisation Maximilians I. nach Innsbruck gekommen. Damals erhielt auch das Archiv des Regiments und der Raitkammer in Innsbruck einen über Tirol und die Vorlande hinausgehenden universelleren Charak1 Siehe S. 31.