Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)

Einleitung

176* Einleitung. Wissenschaft ehrlich dienen wollten,1 weil sie die üble Rückwirkung auf­sehenerregender schädlicher Enthüllungen auf den ganzen Forschungs­betrieb fürchteten. Auch Arneth hielt an der Überprüfung der Archivalien vor Vorlage an die Benützer fest, wenn er auch vielfach freier vorging und in manchen Fällen Akten vorlegte, die seine Vorgänger noch zurück­gehalten hatten.1 2 Auch die beiden Erlässe von 1868 (oben S. 171* ff.) brachten hierin keine wesentliche Änderung. Der zweite Erlaß vom 25. September 1868 verkündete zwar den Wunsch des Ministeriums, „der Geschichtsforschung ohne Rücksicht auf deren politisches Programm wenigst möglich Schranken aufzuerlegen“, fügte aber hinzu: „Eine Aus­nahme hätte nur dann einzutreten, wenn Gefahr vorhanden wäre, daß aus den Materialien des StA. Stoff zu Publicationen geschöpft werden könnte, durch welche das Andenken an Mitglieder des A. H. Kaiserhauses verun­glimpft und überhaupt dem Ansehen und der Würde der Allerhöchsten Dynastie ein Eintrag geschehen könnte.“ Dies war aber ein dehnbarer Begriff und Arneth sollte bald darüber belehrt werden, wie weit man dessen Grenzen zog. In den Jahren 1869 und 1872 ließ eine Fürstin Massalsky angeblich für die Zwecke einer Familiengeschichte Nachforschungen über den 1777 zu Jassy ermordeten Hospodar Gregor Ghika pflegen, für welche ihrem Beauftragten nach erfolgter Überprüfung auch die an sich unbedenk­lichen Akten über die Erwerbung der Bukowina 1775 vorgelegt wurden. Statt einer Familiengeschichte erschien 1875 zu Bukarest eine anonyme Schmähschrift „Rapinea Bucovinei“ (Der Raub der Bukowina). Es war nicht so sehr der Inhalt der darin verwerteten Akten, als der Gebrauch, der von ihnen in der Schmähschrift gemacht wurde, der Anstoß erregte. Wie dem auch sei, die Schmähschrift gelangte zur Kenntnis Kaiser Franz Josephs, der Arneth scharf tadelte und äußerte, so etwas könne nur in Österreich Vorkommen. Derlei Vorfälle mußten zur Vorsicht mahnen. Tat­sache ist jedenfalls, daß die Zensur auch unter Arneth und seinen Nach­folgern bis 1918 geübt wurde. 1885 schreibt Arneth, im StA. gehe „die strengste Geheimhaltung Hand in Hand mit der freiesten Forschung“. Schiitter machte 1915 einen Versuch, die Aufhebung der Zensur für be­stimmte Bestände zu erlangen. Er erhielt zwar die formelle Ermächtigung hiezu, jedoch mit dem Beisatz: „Nur wenn sich in einzelnen Fällen hin­sichtlich des Benützungswerbers oder des erbetenen Aktenmateriales spe­zielle Bedenken ergeben sollten, wären die Korrespondenzen vor der Aus­lieferung auf ihre Mitteilbarkeit zu prüfen.“ Da sich solche Feststellungen aber doch nur auf Grund einer Überprüfung des gesamten zur Vorlage gelangenden Aktenmaterials machen ließen, so blieb alles beim alten. Erst die Benützungsordnung vom 18. November 1918 brachte mit dem Zu­sammenbruch der alten Monarchie die vollständige Aufhebung der Zensur,3 indem sie verfügte: „Es ist dem Archivbeamten auf das strengste unter­sagt, den Forschern aus dieser Zeit (vor dem 1. Januar 1895) stammende 1 Chmel, damals provisorischer Leiter des StA., unterschrieb im März 1845 das von 99 Schriftstellern Unterzeichnete Verlangen nach einem Zensurgesetz. Von Srbik, Metternich II 223. 2 L. Bittner, Á. v. Károlyi als Archivar, S. 32 ff. 3 L. Bittner, Das StA. in der Nachkriegszeit, S. 166, 178, 179.

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