Inventare Teil 5. Band 4. Gesamtinventar des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1936)
Einleitung
18* Einleitung. Danach war das neue Archiv zunächst vornehmlich als eine Urkundensammlung gedacht, deren Bildung durch eine Auswahl nach dem Betreffgrundsatz erfolgen sollte.1 So unklar und abstrakt diese Richtlinien auch waren,1 2 so haben sie doch im guten und schlechten die Entwicklung des archivalischen Besitzstandes des StA. fast bis zur Gegenwart beeinflußt. Die Auswahl sollte aus den Schatzgewölbearchiven von Wien, Graz und Innsbruck, aus den Landesarchiven und aus den Registraturen der landesfürstlichen Zentral- und Mittelbehörden erfolgen. Man gedachte auf diese Weise ein „Universalarchiv“ zu errichten.3 Von der Idee eines Zentralarchivs im heutigen Sinne, einer Zusammenfassung ganzer Archivkörper war man aber noch weit entfernt,4 wenn man auch bei der Durchführung des Planes in einzelnen Fällen über den Auswahlgrundsatz hinausging und ganze Archivkörper übernahm. So wurden zunächst sämtliche Bestände des Wiener Schatzgewölbes,5 der Wiener Schatzkammer6 und des böhmischen Kronarchivs7 eingezogen, dagegen in den übrigen Prager Archiven,8 in Innsbruck9 und in Graz 10 nur eine mehr oder weniger weitgehende Auswahl getroffen. Die Zerreißung des Archivs der Herzoge von Österreich durch die Länderteilung von 1565 wurde nur zum geringen Teile wieder 1 Auch der mit der Oberleitung über das StA. betraute Vizekanzler des Direc- toriums in publicis et cameralibus, Johann Christoph von Bartenstein (s. unten S. 11), steht in seinem Hauptbericht vom 18. Nov. 1753 auf diesem Standpunkt. Noch 1777 sagt Rosenthal in einer Besprechung des damals erschienenen Buches von Ph. E. Spieß, Von Archiven, das schon den modernen Archivbegriff vertritt, folgendes: „In dem Plassenburgischen Archive werden verschiedene, pag. 66 angedeutete Acta nebst mehreren hin und wieder erwehnten Kanzlei- und privat Sachen, verwahret; dergleichen auch in unseren Länder-Archiven oder auch so genannten Schatzregistraturen aufbehalten zu werden pflegen; womit es aber bey dem hiesigen geheimen Hausarchive eine unterschiedene Beschaffenheit hat. Dieses enthält vornehmlich die Haupt-Haussachen, Gerechtsame, Handlungen mit anderen Staaten, die Dokumenten und dahin einschlagenden Schriften; und es hat nie zur Hinterlegung solcher Gattungen von eigentlich so zu nennenden Current-Akten gedient, sondern dieselben sind allemal bey den Ländern und Hofstellen zur fortwährenden täglichen Nothdurft an der Hand verblieben.“ 2 A. Fischei, Studien zur österr. Reichsgeschichte, Wien 1906, S. 248 bezeichnet Rosenthal als „einen subalternen Geist“. 3 Vgl. die bei Winter a. a. 0. 21, Anm. 2 zusammengestellten Titel. * Daß es unter den an den Beratungen beteiligten Personen auch eine gab, der der moderne Archivbegriff nicht fremd war, zeigt die bei Winter 30 abgedruckte Notiz, deren Verfasser leider nicht ermittelt werden konnte. 5 Winter 34, Kletler unten S. 119. 6 Die Übergabe erfolgte nach einer Tagebuchaufzeichnung des Obersthofmeisters Johann Josef Khevenhüller (siehe oben S. 15* Anm. 8) am 16. Juli 1754. Vgl. auch Winter 17, Anm. 2. 7 Winter 31—33, Kletler unten S. 119, 121. 8 Winter 33. * 9 Winter 34, Stolz 96. In dem „Decretum instructivum“ für seine Reise nach Innsbruck vom 26. Sept. 1750 war Rosenthal überdies ermächtigt worden, von den Urkunden, die den Gesamtstaat betreffen, fallweise, von den Urkunden, die die Länder betreffen, überhaupt nur Abschriften anfertigen zu lassen, die Originale jedoch in Innsbruck zu belassen. 10 Winter 37. Das „Decretum instructivum“ vom 15. Jan. 1752 für Graz lautete ähnlich wie das für Innsbruck.