J. K. Mayr: Inventare Teil 5. Band 3. Metternichs geheimer Briefdienst. Postlogen und Postkurse (1935)

Einleitung

Uralt und doch ewig neu ist die geheime amtliche Durchforschung offizieller und privater Briefsdiaften. Von Martin Luthers Schrift wider die Briefdiebe, worin er unter Briefdiebstahl die heimliche Brieferöffnung ver­stand, führt eine bunte Reihe von Beispielen aus aller Herren Ländern bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts herab. Spätestens im 18. Jahr­hundert kann die geheime amtliche Briefdurchforschung schon als eine weit­hin ausgedehnte, sehr leistungsfähige Einrichtung angesehen werden. Auch reicht jä — gewiß nicht zufällig — die Sammlung ausgewählter Proben der insgeheim gewonnenen Briefabschriften — der sogenannten Interzepte — des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs bis an den Anfang des 18. Jahr­hunderts zurück. Für die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 18. Jahrhunderts gibt es schon recht charakteristische Beispiele für das Vorhandensein einer wohlorganisierten geheimen amtlichen Briefdurchforschung im Reiche sowie für das allgemein verbreitete Bestreben, sich ihr nach Möglichkeit zu ent­ziehen 1). Mit der Ausbildung des straff organisierten Obrigkeitsstaates Maria Theresias und Josefs II. ging in Österreich — namentlich unter Kau­nitz’ und Colloredos Einfluß — eine weitere Vervollkommnung jener Ein­richtung Hand in Hand. Den Höhepunkt hat sie im Zeitalter des Fürsten Metternich erreicht2). Mehr als die Inlandbriefe sind für die auswärtige Politik des Staats­kanzlers die Auslandbriefe — die ins Ausland gehenden oder aus dem Aus­lande kommenden offiziellen und privaten Korrespondenzen — von Bedeu­tung gewesen. Den Methoden entsprechend, die zur Erschließung derselben geführt haben, gliedert sich diese Studie in zwei Abschnitte. Welcher Mittel bediente man sich — dies die eine Frage —, um sich von Amts wegen Kennt­nis des Inhaltes dieser Auslandbriefe zu verschaffen, und welcher — dies die andere Frage —, um die geheime Durchforschung derselben so umfang- und ertragreich wie möglich zu gestalten? Die eine Frage führt uns auf das Feld der Organisierung des Geheimen Dienstes in den Postlogen, den sogenannten Schwarzen Kabinetten, und in ähnlichen damit zusammenhängenden Ein­richtungen, die andere auf das Gebiet der Linienführung der mit dem Aus­lande korrespondierenden österreichischen und der diesen entsprechenden aus­ländischen Postkurse. Postlogen und Auslandpostkurse hingen aufs engste miteinander zu­sammen: nur wenn ihnen diese weit und tief genug hergeholtes Auslandbrief­material zuführten, konnten die Postlogen den in sie gesetzten Erwartungen entsprechen. In der Tat waren diese im Zeitalter des Fürsten Metternich besonders gespannt. Denn weniger als irgendeine andere vermeinte just jene Epoche der Geheimpolitik entraten zu können, die um so souveräner schaltete *) H. H a n t s c h, Reichsvizekanzler Schönborn 416, Anm. 3 (Brieferöfinung in Frank­furt und Entzifferung in Wien 1721); J. K. Mayr, Emigration der (Brieferöffnung in Wien, Verwendung privater Landboten 1732). 2) Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch-Osten 120. Mayr, Metternichs geheimer Briefdienst.

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