Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn
seinen Rat gefragt werde 190). Im Laufe des Jahres 1675 muß dann der Umschwung eingetreten sein, denn am 26. Januar 1676 berichtete der Vizekanzler nach Mainz, daß sich die Expeditionen in publicis bei der Reichskanzlei außerordentlich mehren und wieder dahingezogen werden. Ebenso berichtet auch Gudenus, daß die negotia von Tag zu Tag wieder zunehmen, „indeme I. K. Maj. die publica meistens wieder herübergeben, welche sonst fast völlig zur österreichischen cantzley gezogen gewesen“ 191). Diese Nachrichten finden wir in den Akten vollauf bestätigt, insbesondere erscheint Königsegg fortan als Teilnehmer an den verschiedenen Konferenzen und Kommissionen, wie er auch in einer Liste der geheimen Konferenzräte aus dem Jahre 1679 angeführt wird192). Nach Hochers Tod hat dann die Reichskanzlei noch mehr von dem verlorenen Boden zurückgewonnen und bis in die Regierungszeit Josefs I. behauptet. Nicht so günstig gestaltete sich hingegen die Frage der Standeserhöhungen. Die Hofkanzlei fuhr unbeirrt durch alle Proteste fort, die Standeserhebungen nomine Caesaris auszufertigen und berief sich dabei auf die nun schon seit 1620 herrschende Übung; sie verweigerte jenen, die ihre Standeserhöhungsdiplome von der Reichskanzlei erhalten hatten, die Anerkennung und zwang auf diese Art besonders die erbländischen Untertanen, entweder ein zweites Diplom aus der Hofkanzlei zu nehmen und sich auf diese Art doppelte Taxkosten zu machen oder nur bei der Hofkanzlei die Standeserhebung anzustreben. Das letzere hatte wiederum zur Folge, daß die Reichskanzlei die Standeserhöhungsdiplome der Hofkanzlei, welche widerrechtlicherweise im stilus imperialis abgefaßt und ins Reich und nach Italien expediert wurden, nicht respektierte 193). Dabei ergab sich bisweilen ein förmlicher Konkurrenzkampf, indem die beiden Kanzleien einander mit den Taxen zu unterbieten suchten194). Diese Zustände veranlaßten den Vizekanzler, beim Erzkanzler den Abschluß eines Vergleiches mit der Hofkanzlei anzuregen, für den er bestimmte Vorschläge unterbreitete und von dem er auf Grund einer früheren Fühlungnahme mit Hocher glaubte, daß er auch von der Hofkanzlei angenommen werden würde 193). Es kam indessen damals noch zu keinem Vergleich und die Streitigkeiten dauerten fort. 1690 erfolgten neue Beschwerden Königseggs, die neben den Standeserhebungen auch die Hof- freiheiten, welche die österreichische Kanzlei ganz an sich gezogen hatte, betrafen und den Erzkanzler zu einem Protest an den Kaiser veranlaßten195). Eine Änderung trat aber auch jetzt nicht ein, sie sollte erst durch die Verhandlungen der Jahre 1705 und 1711 herbeigeführt werden. 19°) Ber. a. d. Erzk. v. 18. März 1674 i. Mzer. R. K. 18. 101) Mzer. R. K. 25 b, auch unter dem 29. März 1676 klagt Königsegg über das Anwachsen der Geschäfte, ebda. 192) Vgl. Histor. Vierteljahrschr. 1924, 307 f. 193) Vgl. den Ber. Königseggs v. 14. Nov. 1675 i. Mzer. R. K. 25 a. 19’) Ein Beispiel berichtet Gudenus am 24. Aug. 1675: Da die österr. Kanzlei dem Herrn Königsacker auf Neuhaus ein Baronatsdiplom für die Hälfte der von der Reichskanzlei geforderten Taxe auszufertigen verspricht, läßt ihm Gudenus mitteilen, daß er es bei der Reichskanzlei, wenn er ansucht, ebenso billig haben kann, worauf Königsacker bei der Reichskanzlei einreicht (Mzer. R. K. 25 a). 195) R. K. Verf. A. 23, Nr. 45. 56