Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn
jedoch in Mainz auf schärfste Ablehnung stieß 171). Nach fast einjähriger Dauer wurde der Konflikt durch ein Kompromiß beendigt: Man einigte sich auf Wilderich von W alderdorff, Dompropst zu Speyer, der am j. März 1660 vom Erzkanzler präsentiert und vom Kaiser in einem Schreiben vom 23. April 1660 als Vizekanzler angenommen wurde. In diesem Schreiben erklärte der Kaiser ausdrücklich, daß ungeachtet der letzten Wahlkapitulation auf Grund der Kanzleiordnung die Ernennung des Vizekanzlers und der übrigen Kanzleipersonen nicht ohne seine Zustimmung erfolgen könne. Der Kaiser hatte also bis zu einem gewissen Grade seinen Willen durchgesetzt und die Errungenschaften der letzten Wahlkapitulation hatte Mainz nicht in vollem Umfange zu behaupten vermocht. Da aber auch der Erzkanzler stillschweigend auf seinem Standpunkt beharrte, blieb der Gegensatz latent fortbestehen. Der Ausgang des Kampfes um die Ernennung des Vizekanzlers ließ bei Johann Philipp eine schwere Verstimmung zurück. Besonders über das kaiserliche Schreiben vom 23. April 1660, in dem der Kaiser seinen Rechtsstandpunkt nochmals festgehalten hatte, war der Kurfürst erbittert. Er äußerte sich darüber zu Walderdorff, daß er, wenn er dieses Schreiben vorher gekannt hätte, protestiert und die Eidesleistung und Installation Walderdorffs als Vizekanzler verhindert hätte172 173). Walderdorff, der beteuerte, das Schreiben des Kaisers vor seiner Installation nicht gekannt zu haben, sollte Material zur Bekämpfung des kaiserlichen Rechtsstandpunktes zusammenbringen, hatte aber gleich nach Antritt seines Amtes mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen. Man bestritt ihm das Recht, im Reichshofrat in Abwesenheit des Präsidenten den Vorsitz zu führen. Möglicherweise hat wirklich Volmar, wie der Erzkanzler behauptete172), aus Enttäuschung über seinen Mißerfolg bei der Besetzung des Vizekanzlerpostens gegen Walderdorff intrigiert. Der Kurfürst erteilte dem Vizekanzler den Auftrag, den Vorsitz im Reichshofrat „omnibus modis“ zu behaupten, doch gestaltete sich die Verteidigung dieses Rechtes, wie Walderdorff mit Recht ausführte17S), dadurch schwierig, daß die neue Reichshofratsordnung von 1654, die in der Wahlkapitulation Leopolds I. die Zustimmung des Erzkanzlers gefunden hatte, vom Vorsitz des Vizekanzlers überhaupt nichts enthielt174), sondern dieses Recht nur auf die Kanzleiordnung von 1559 und auf Artikel 41 der Wahlkapitulation, in dem die Stellung des Reichsvizekanzlers keineswegs klar umschrieben war, gestützt werden konnte. Gleichzeitig mit diesen Streitigkeiten mußte der neue Vizekanzler auch Klage über die Mißstände in der Kanzlei führen, die Beschwerden der Reichsstände über 171) Vgl. auch den Bericht Molins v. 29. März 1659 i. Venet. Dep. vom Kaiserhof II/i, 227, der zeigt, wie man sofort nach Kurzens Tod in Wien bestrebt war, ein Einvernehmen mit Mainz herzustellen. 172) Erzkzler. an Walderdorff, 1660 Mai 28., i. Mzer R. K. 18. 173) Walderd. an Erzkzler. 1660 Mai 30. i. Mzer. R. K. 18. 174) Die Bemerkung Kretschmayrs (Reichsvizekanzler 450), daß die Reichshofratsordnung bestimme, daß in Abwesenheit des Präsidenten der Reichsvizekanzler zu präsidieren habe, beruht auf einem Irrtum; aus Artikel 5 des Tit. 1 der Ordnung geht vielmehr hervor, daß der Reichshofratsvizepräsident bzw. der rangälteste Reichshofrat den Vorsitz führen sollte, vgl. Uffenbach Anhg. 50. 4* 51