Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)
I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn
zufolge die Hofkanzlei eigentlich sich hätte zurückziehen und in Hinkunft nur einen erzherzoglichen Adel hätte verleihen dürfen. Der Erzkanzler erließ bald darauf an seinen Residenten in Wien und an den Reichsvizekanzler den Auftrag, beim Kaiser eine günstige Resolution über die Kanzleibeschwerden zu erwirken 147). Wie immer der Ausgang dieser Verhandlungen gewesen sein mag, einen nachhaltigen Erfolg brachten sie der Reichskanzlei jedenfalls nicht, denn schon am 19. März 1646 befiehlt der Kurfürst von Mainz dem Reichsvizekanzler, neuerdings beim Kaiser Vorstellungen zu erheben, weil die österreichische Hofkanzlei erbländische Untertanen zwinge, sicht die Standeserhöhungsdiplome von ihr ausstellen zu lassen und sie sogar daran verhindere, sich über die Standeserhöhung nachträgliche Bestätigungen aus der Reichskanzlei geben zu lassen148). Merkwürdigerweise antwortete der Vizekanzler darauf, daß ihm nichts darüber bekannt sei, sollte es sich aber bei diesen Klagen um die Ausfertigung für den Grafen Kuefstein handeln, so habe der Kaiser schon vor einigen Wochen auf seine, des Vizekanzlers, Vorstellung befohlen, daß diese durch die Reichskanzlei zu erfolgen habe149). Die Antwort des Grafen Kurz, der doch in erster Linie der Mann des Kaisers war, suchte wohl die wahre Sachlage zu beschönigen. Jedenfalls berichtete der Mainzer Resident Lindenspür schon wenige Monate später dem Erzkanzler über einen neuen Zwischenfall, der die ganze Lage deutlich beleuchtete 15°). Der Kaiser hatte befohlen, für die Freiherren von Brandis ein Grafendiplom in der Reichskanzlei auszufertigen, sie konnten es aber wegen des Widerstandes des österreichischen Hofkanzlers nicht beheben, da dieser ihnen als erbländischen Untertanen das Recht bestritt, sich aus der Reichskanzlei ein Diplom ausstellen zu lassen. Von einem Eingreifen des Vizekanzlers hören wir bei diesem Anlasse nichts. Er war anscheinend überhaupt nicht gerade sehr auf die Wahrung der Rechte des Erzkanzlers bedacht; so nahm er einige Jahre vorher in der Frage der Verleihung des Sekretärtitels durch den Erzkanzler eine dessen Rechten geradezu abträgliche Haltung ein 1B1). Hatte so der Erzkanzler allen Grund, mit der Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Reichskanzlei und der Hofkanzlei unzufrieden zu sein und auch sonst vielleicht da und dort Anlaß zur Klage, so war doch andererseits gerade die Vizekanzlerschaft des Grafen Kurz in einer anderen für die Stellung der Reichskanzlei ausschlaggebenden Beziehung günstig, nämlich auf dem Gebiete der Führung der auswärtigen Politik. Die Klagen, die 1623 in diesem Punkte 147) Erzkzler. an Kurz 1644 Okt. 28., i. R. H. R. Verf. A. 24, Nr. 6. ua) Mzer. R. K. 12. 149) Mzer. R. K. 12: 1646 Apr. 20. 15°) Mzer. R. K. 12: 1646 Nov. 27. 1M) 1640 bewirkte Kurz durch den Grafen Trauttmansdorff, daß ein Intercessions- schreiben des Reichshofrates an den Erzkanzler für den lateinischen Reichshofratskonzipisten Paul Thoman wegen der Sekretärsstelle, das schon konzipiert war, nicht zur Absendung kam, wobei sich Trauttmansdorff vernehmen ließ, daß der Kaiser die Sekretärstelle vergebe. In einem Gutachten des kurmainzischen Sekretärs Jakob Seyler an den Erzkanzler über diese Angelegenheit, in dem Seyler dem Erzkanzler behufs Wahrung der erzkanzlerisdien Rechte zur schleunigsten Verleihung des Sekretärtitels an Thoman rät, fällt daher auch die offenbar gegen Kurz gerichtete Bemerkung, daß es am Kaiserhofe Leute gebe, die lieber ihre bayrischen Kreaturen als die treuen Diener des Erzkanzlers befördert sehen; Bittschrift Thomans und Gutachten Seylers i. Mzer. R. K. 10 b. 46