Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 3. Die Reichskanzlei im Kampfe mit der österreichischen Hofkanzlei bis zum Rücktritt des Reichs Vizekanzlers Schönborn

an den Kaiser zugesandt hatte, trug jedoch Bedenken, es Ferdinand ein­zuhändigen. Ihm schien die Behauptung, daß die Errichtung der neuen Hof­kanzlei vertragswidrig und den Mainzer Rechten abträglich sei, nicht aus­reichend begründet und er bat den Erzkanzler um die Übermittlung ent­sprechender Belege, um den Kaiser und dessen Räte darüber informieren zu können. Er wies den Kurfürsten auch darauf hin, daß nicht mehr die ihm eingesandte Ordnung Ferdinands I. von 1559, sondern die Maximilians II. von 1570 in der Kanzlei in Kraft stehe und bemerkte, daß die geheimen Räte, denen er die Frage einer Reformation der Kanzleiordnung als seinen eigenen Vorschlag zur Erwägung gestellt hätte, einer solchen nicht abgeneigt seien 133). Wir wissen nicht, ob und was Johann Schweikhard dem Vize­kanzler, aus dessen Bericht kein übergroßer Eifer sich neuerdings in diese dornige und heikle Materie einzulassen spricht, geantwortet hat und welche Stellung der Kaiser zu dem Schreiben des Kurfürsten genommen hat134). Zu einer Umarbeitung der Kanzleiordnung kam es jedenfalls nicht und schon 1623 hatte der Erzkanzler wohl begründeten Anlaß, sich beim Kaiser wegen der Übergriffe der neuen Kanzlei zu beklagen. Seine Beschwerden faßte er in einem Schreiben an Ferdinand vom 27. März 1623 in 6 Punkten zu­sammen 135). Er protestierte dagegen, daß der österreichische Kanzler sich als kaiserlicher Hofkanzler, die neue Kanzlei sich als geheime Kanzlei und die Sekretäre sich als geheime Hofsekretäre unter Auslassung des Wortes österreichisch offiziell selbst bezeidhneten, ferner daß die neue Kanzlei die Ausfertigung der kaiserlichen Rats- und Dienerdekrete und der Hof handeis- und Hofhandwerksfreiheiten an sich gerissen habe, wiewohl diese vom Kaiser und nicht vom Erzherzog von Österreich erteilt wurden. Die zweite Beschwerde richtete sich gegen die Ausfertigung von Patenten ins Reich durch die österreichisdie Hofkanzlei. Der dritte Punkt betraf die Aus­stellung von Wappenbriefen, Standeserhöhungsdiplomen und anderen Pri­vilegien unter dem größeren kaiserlichen Reichssiegel und unter der goldenen Bulle in der österreichischen Kanzlei und die Verwendung der Gebots­formel 136) an die Kurfürsten und Stände des Reiches in diesen Privilegien, der vierte die Vorenthaltung der Schlüssel zu den alten Reichsgewölben zu Wien. Im fünften wurde dargelegt, daß alle Schreiben und Instruktionen, die an die türkischen, persischen und anderen ausländischen Potentaten, deren Ausfertigung bisher der lateinischen Expedition der Reichskanzlei oblag, jetzt von anderen Kanzleien besorgt würden 137) und der letzte Be­schwerdepunkt richtete sich gegen die Hofkammer, die der Reichskanzlei gleichfalls gewisse Ausfertigungen in Lehens- und Gefällssachen entzogen und sich auch anderer Eingriffe schuldig gemacht hatte. Die Beschwerde­schrift des Erzkanzlers zeigt bereits deutlich jene Punkte, um die sich in 13S) Schreiben Ulms v. 24. Mai 1620 i. Mzer. R. K. 30. 131) Daß das Schreiben übergeben worden sein muß, geht aus dem Schreiben Johann Schweikhards an Ferdinand II. v. 27. März 1623 hervor. 135) Abschrift i. Mzer. R. K. 30, Konzept von der Hand Ulms i. R. K. Yerf. A. 23, Nr. 45. 13°) Es handelt sich hier um die Formel, in der den Kurfürsten und allen Reichs­ständen befohlen wird, die Privilegierten bei den erteilten Gnaden bei Vermeidung einer Strafe zu schützen. 137) Diese Beschwerde richtete sich auch gegen den Hofkriegsrat, vgl. oben S. 38, Anm. 121. 42

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