Lothar Groß: Inventare Teil 5. Band 1. Die Geschichte der deutschen Reichshofkanzlei von 1559-1806 (1933)

I. Die allgemeine Entwicklung der Reichskanzlei von 1559-1806 - 1. Die Neuorganisation der Reidiskanzlei im Jahre 1559 und ihre Entwicklung bis zum Tode Maximilians II

Hoflager festzulegen. Schon nach wenigen Tagen kam es zu einer Verein­barung, die sämtliche Wünsche des Kurfürsten befriedigte und die ihm der Kaiser durch den Sekretär Kobenzl am 16. August in einer in dem wieder­holt genannten Aktenband als „Entliehe Vergleichung, so mit dem erz- bischoven und churfürsten zu Meinz, meinem gnedigsten hern, der kay. canzley halben beschehen“ betitelten Niederschrift übermitteln ließ. Ihr zufolge sollte der Erzkanzler bei Anwesenheit am Hoflager das große und kleine kaiserliche Siegel führen, dem Reichshofrat präsidieren und in un­mittelbarer Nähe des kaiserlichen Quartiers und der Reichskanzlei be- quartiert werden. Für diesen Fall machte sich der Kaiser auch erbötig, sich mit dem Erzkanzler über dessen Unterhalt in billiger Weise zu ver­gleichen. Ist der Erzkanzler nicht am Hofe, soll der Hof- oder Vizekanzler in seine Rechte treten, alle auf Pergament unter Hängesiegel ausgehenden Schriftstücke und alle Generalpatente und Mandate ins Reich mit der Formel „vice et nomine archicancellarii“ unterfertigen; der Vizekanzler soll dann auch die Siegel führen, wenn es der Kaiser nicht vorzieht, sie in seiner Kammer zu verwahren. Dem Erzkanzler ist auf Wunsch jederzeit Rechnung über die Kanzleigefälle zu legen, zum Taxamt wird ein Gegen­schreiber des Erzkanzlers zugeteilt. Schließlich betont die Vereinbarung noch, daß alle Kanzleipersonen dem Erzkanzler verpflichtet sein und bleiben sollen 17). So hatte der Erzkanzler die Erfüllung seiner Forde­rungen, die ja implizite schon in der Kanzleiordnung enthalten war, sich vom Kaiser noch in einer schriftlichen Erklärung verbriefen lassen. Er hatte sich alle Sicherheiten verschafft, die Urkunden und kaiserliche Ver­ordnungen bieten konnten. Nachdem er seinen Beamten Stephan Braun zum Taxgegenschreiber ernannt und aus dem Uberschuß der Taxeingänge vom Kaiser xooo Goldgulden erhalten hatte, konnte er in dem Gefühle, alle seine Ziele erreicht und die Ansprüche seines Stiftes und seiner Mit­kurfürsten, als deren Beauftragter er sich wiederholt im Laufe der Ver­handlungen bezeichnet hatte, zum Siege geführt zu haben, Augsburg verlassen. Die Zukunft erst sollte lehren, inwieweit der nunmehr gesetzlich festgelegte Einfluß des Erzkanzlers auf die Reichskanzlei sich gegenüber den Widerständen, die den jeweiligen realen Machtverhältnissen und den von den erzkanzlerischen vielfach weit abweichenden Interessen des Kaisers entsprangen, auch praktisch durchsetzen und behaupten würde. Die Bedeutung der Ordnung von 1559 ist von Kretschmayr in seiner Schrift über das Reichsvizekanzleramt18) ebenso treffender wie eingehender Würdigung unterzogen worden, so daß ich hier auf seine Ausführungen verweisen darf. Jene Bestimmungen der Kanzleiordnung, welche die einzelnen Phasen des Geschäftsganges und die Funktionen des Kanzleipersonals betreffen, werden wir bei den einschlägigen Kapiteln noch zu erörtern haben 19). Hier soll nur noch ihre Abhängigkeit von ihren Vorläufern, der Kanzleiordnung Erzbischof Bertholds von Mainz vom 3. Oktober 1494 und jener undatierten Ordnung, die S e e 1 i- ger mit der vom Erzbischof Albrecht II. 1545 entworfenen Ordnung für die Reichskanzlei identifizierte, Walther aber ins Jahr 1498 setzte, 17) Vgl. den Wortlaut im Anhang. 18) Arch. f. öst. Gesch. 84, 406 ff. 19) Vgl. unten S. 97 ff. u. 143 ff. 12

Next

/
Oldalképek
Tartalom