Historische Blätter 7. (1937)

Walter Latzke: Das Ende des Wiener Frauenklosters St. Anna

Das Ende des Wiener Frauenklosters St. Anna. Von Walther Latzke. Eine wichtige Teilerscheinung im Prozeß der Ausbildung der her­zoglichen Gewalt in den österreichischen Ländern zur territorialen Fürsten- macht ist die allmähliche Ausdehnung der herzoglichen obersten Schirm­gewalt über sämtliche Kirchen und Klöster des Territoriums. Die Ent­wicklung dieser Schirmgewalt aus verschiedenen Eigenkirchen- und Vogteirechten, die sich in Österreich bis an den Anfang des 13. Jahrhun­derts zurückverfolgen läßt, war schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahr­hunderts so weit gediehen, daß die habsburgischen Herrscher als oberste Vögte nicht nur das Recht der außerordentlichen Besteuerung der Kirchen­güter und das Aufsichtsrecht über die Verwaltung des Vermögens der Klöster, Pfarren und Stiftungen übten, sondern sich auch, mit Zustimmung der Päpste, ein von der bischöflichen Gewalt völlig unabhängiges Visita­tions- und Reformationsrecht errungen hatten1. Im 16. Jahrhundert haben diese landesfürstlichen Rechte gegenüber den Kirchen und Klöstern hinsichtlich der Temporalien bis zum vollen Obereigentum, in geistlichen Belangen bis zu einem regelrechten landes­fürstlichen Kirchenregiment geführt. Äußere und innere Ereignisse haben hiebei in gleicher Weise mitgewirkt. Die seit 1526 ständig steigende Türkengefahr zwang die österreichischen Landesherren, das Kirchengut in weitestem Ausmaße zur Finanzierung des Landesschutzes heranzuziehen. Daraus mußte sieh die Notwendigkeit einer nicht mehr fallweisen, sondern dauernden Aufsicht vor allem über die klösterliche Vermögensverwaltung ergeben. Verstärkt aber wurde diese Notwendigkeit durch die Tatsache, daß das Klosterwesen seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts durch innere und äußere Gründe in immer tieferen Verfall geriet. Der Einfluß der Lehre Luthers, die darin enthaltene Umwertung des christlichen Le­bensideals, mußte auch in Österreich für das Klosterwesen verhängnisvoll werden. In den Männerklöstern führte dieser Einfluß zum schroffen Bruch mit der Vergangenheit, zum Verfall der Klosterzucht, den Frauenklöstern 1 Heinrich R. v. Srbik, Die Beziehungen von Staat und Kirche in Österreich während des Mittelalters (Forschungen zur inneren Geschichte Österreichs, I), S. 75 bis 95, 131—166, 210-213. 7* 97

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