Historische Blätter 7. (1937)

Paul Kletler: Karl der Grosse und die Grundlegung der deutschen Kultur

aus äußerem und innerem Erleben: Mit prachtvoller lebensnaher Anschaulichkeit schildert das erhaltene Bruchstück eines Epos über Karls Taten dessen Zusammenkunft mit Leo III. in Paderborn im Jahre 799 und bringt die älteste Schilderung einer Jagd auf deutschem Boden. Einhard, wie Angilbert ein Franke, ein Deutscher, schildert uns in reinstem Latein nach dem Muster Suetons liebevoll und wirklichkeitstreu das Lehen Karls als König und Kaiser, aber auch im Alltag, im Kreise seiner Familie, besonders seiner zärtlich geliebten Töchter, die er, um sich nicht von ihnen zu trennen, nicht heiraten ließ: „weshalb er, sonst so glück­lich, die Tücke des Schicksals erfahren mußte.“ Einhard spielt mit diesen Worten auf das Liebesverhältnis Bertas zu Angilbert an. Walahfrid Strabus, ein Schüler der aus Karls Hofschule hervorgegangenen Reichenauer Mönche Grimald und Tatto, der erste deutsche Lyriker, als Schwabe vorausdeutend auf Mörike, schildert in klassischen Versmaßen eigenstes, innerstes Erleben. In Hexametern, die tief in die Stimmung einer Mond­nacht getaucht sind — deutsche Romantik! — klagt er seine Sehnsucht nach einem Freunde, in sapphischen Strophen seine Sehnsucht nach der geliebten, wild von Wassern rings umbrandeten Reichenau! In seiner dichterischen Bearbeitung der Vision des Mönches Wetti eröifnet er — abgesehen von einer älteren angelsächsischen Dichtung — die zu Dantes göttlicher Komödie führende Reihe der Visionsdichtungen. Er läßt hier Karl d. Gr. für seine Ausschweifungen im Fegefeuer leiden. Wir aber schließen uns nicht dem Urteil der kleinmütigen Zeit an, die unmittelbar auf Karl folgte, wir teilen vielmehr die Bewunderung, die die großen Epochen der Ottonen und Stauffer für ihn empfanden. Be­sondere Bedeutung gewinnt die Gestalt Karls des Großen, als im Zeitalter der Kreuzzüge das Verständnis für weitausgreifende und kühne Unter­nehmungen besonders im Kampfe gegen die Ungläubigen wieder erwachte und das deutsche Kaisertum einen letzten Aufschwung nahm: Da wurde Karl zum leuchtenden Vorbild für Heinrich den Löwen ebenso wie für Barbarossa, der in ihm den Begründer der deutschen Kaisermacht erblickte und ihn heilig sprechen ließ. Wir sehen in Karl den Großen den Weg­bereiter des deutschen Volkes und der deutschen Kultur und die ge­waltigste Herrscherpersönlichkeit des nachantiken Abendlandes. 32

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