Historische Blätter 5. (1932)

Georg Wittrock: Gorčakow, Ignatiew und Šuwalow

war. Die landläufige Erzählung ist die, daß er in einem während der Krankheit aufgesetzten Testament sich als Besitzer eines großen, auf nicht ganz ehrlichem Wege erworbenen Reichtums enthüllt hatte. Davon weiß oder sagt jedoch Langenau nichts; er betrachtete vielmehr Trepow als einen Mann, der besser als irgendein anderer imstande sei, über die innere Lage zu urteilen, und der selbst „die traurigsten Erfahrungen“ gemacht habe. Es wird damit vielleicht zugleich auf die schon damals vielfach erwähnte Möglichkeit Bezug genommen, daß Wera Zasulic von der Jury freigesprochen werden könne, wie das auch am 11. April ge­schah. Der Stadtpräfekt — er nahm seinen Abschied erst, als das Urteil gefällt war — wollte mit handgreiflich beengter Sicht den jetzigen Stand der Dinge hauptsächlich von dem Zeitpunkte datieren, als Peter Suwa- low durch Intrigen von der Leitung der dritten Sektion der kaiserlichen Kanzlei verdrängt worden. Eine Verbesserung hielt er auch nur für möglich, wenn „dieser ausgezeichnete Staatsmann“ auf einen hohen Posten nach Rußland zurückkehre — nicht notwendigerweise auf die Stelle des Chefs der dritten Abteilung, denn er könne auch als Reichs­kanzler in inneren Fragen einen maßgebenden Einfluß ausüben. Daß es so geschehen werde, daß die Erhebung Suwalows zum Kanzler in naher Aussicht stehe, davon schien General Trepow fest überzeugt auf Grund des großen Ansehens, das der Graf wegen seiner in London erwiesenen Dienste bei dem Kaiser genieße114. Die Frage ward durch die zunehmende Kränklichkeit Gorca- kows noch brennender. Die Kräfte des achtzigjährigen Staats­kanzlers fingen nun endlich an, sich sichtbar zu erschöpfen. Am 16. April teilt Langenau mit, daß er neulich bei einer Unterredung zum erstenmal bemerkt habe, daß das Gedächtnis des Fürsten nachlasse, und daß er nicht mehr seine frühere Klarheit besitze, besonders wenn er von mehreren Dingen auf einmal zu sprechen habe. Andere Diplomaten und die eigene Umgebung des Kanzlers bestätigten dasselbe. Auch Schweinitz (13. April) erwähnt „eine, in den letzten Wochen und nach seinem neuerlichen Unwohlsein schnell fortschreitende Abnahme seiner Leistungsfähigkeit“. Dennoch wollte der älteste Minister des Äußeren Europas den Dienst nicht aufgeben, den er mehr als zwan­zig Jahre lang verwaltet hatte. Suwalow fand ihn im Mai wieder zu Bett in einem kleinen Zimmer ohne Luft und Licht, das er trotz alles Zuredens seit Wochen nicht verlassen hatte, reizbar nach schlaflosen 114 Langenau an Andrássy 15./27. März 1878. (Auch von dem soeben abgeschlossenen politischen Monsterprozesse gegen 193 angeklagte Revolutionäre.) Wien. Schweinitz, Denkwürdigkeiten, 11 S. 13, 20 f. 135

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