Historische Blätter 4. (1931)

Ferdinand Bilger: „Großdeutsche“ Politik im Lager Radetzkys

Schlacht von Novara noch einmal darbot27, mußte in Radetzky zu­nehmend eine Gemütsstimmung unterstützen, die schließlich in Frank­furt die alleinige Quelle alles Üblen in Deutschland erblickte 28. Das Bild des lärmenden Radikalismus hat immer und überall die Wirkung, daß es über die Kräfteverhältnisse täuscht, die seinen Äußerungen zu­grunde liegen. Was uns über dieses Imponderabile hinaus interessiert, ist die Frage, wie der Feldmarschall überhaupt zu dem Gedanken des Liberalismus stand. Wir haben hiefür eine ausgezeichnete Quelle in seinen Denkschriften militärisch-politischen Inhalts, die in dieser Rich­tung bisher niemals ernsthaft untersucht worden sind. Die Militärs ließ die Frage gleichgültig, die Historiker gingen daran vorbei, weil sie nur einen militärischen Inhalt vermuteten 29. Nach dem Abschluß der napoleonischen Epoche, in der Radetzkys Anteil an den Ereignissen für immer der großen Kriegsgeschichte ange­hört, war der Feldherr durch lange Jahre als Adlatus des Komman­dierenden von Ungarn in Ofen tätig gewesen, eine militärische Stellung, die ihm genügend Muße bot zu seinen, in diesem Zeitraum mit Leiden­schaft betriebenen Studien. Ihre Ergebnisse sind uns in der Gruppe von Denkschriften erhalten, die der Feldmarschall zwischen seinem sechzigsten und siebzigsten Lebensjahr, in der Zeit von 1827 auf 1834 niederschrieb30. Die erste dieser Denkschriften, die „Gedanken über 27 Am 19. April 1849. Ein Südtiroler, Esterle von Cavalese, und sein enger Parteifreund Nauwerck von Berlin, waren die Redner. Sten. Bér. VIII. 6217 ff. Vgl. dazu Augsb. Alig. Zeitg. vom 22. April 1849, S. 1716. 28 Schreiben Radetzkys an den Abg. Dr. Herz vom 29. Mai 1849 (Augsb. Alig. Zeitg. vom 31. Mai 1849) „... auch meine Gefühle sind stark, wenn ich auf das blicke, was jetzt in Deutschland vorgeht, und das allein seine Quelle in Frank­furt hat.“ Ober dieses Schreiben siehe weiter unten im Text. 29 Die Biographien Radetzkys, die nahezu ausnahmslos dem militärischen oder österreichisch-patriotischen Kreise entstammen, gehen an der langen Friedens­epoche in seinem Leben, zwischen dem Abschluß des Befreiungskrieges gegen Napoleon und Radetzkys italienischem Kampfe mit den dürftigsten Notizen hin­weg. Die einzige höherstehende Darstellung von H. M. Richter in der „Alig. deutschen Biographie“ (27. Bd., 1888 geschrieben) konstatiert ein allgemeines liberales Prinzip ohne die tiefe Zäsur zu entdecken, welche das Jahr 1831 in seiner Entwicklung bedeutet. Die Erwähnung der Denkschrift Radetzkys von 1828 bei Bibi, Zerfall Österreichs I, 230 und 324, geht nicht näher in unseren Zusammen­hang ein. 30 Denkschriften militärisch-politischen Inhalts aus dem handschriftlichen Nachlaß des k. k. öst. Feldmarschalls Grafen Radetzky. Stuttgart, 1858. Ober die Friedensjahre bis 1848 siehe die knappe, aber sachliche Zusammenstellung der Daten bei Gavenda, Radetzky, Prag 1858. 10

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