Historische Blaetter 3. (1921-1922)

Heinrich R. v. Srbik: Die deutsche Einheitsfrage in der Frankfurter Nationalversammlung

Dichterwort vom hohen Dome, vom riesenhaften Münster mit den zwei Türmen, Österreich und Preußen; der biderbe Tiroler Beda Weber wies auf die Aufschrift von Dantes Inferno hin, und der rheinländische Romantiker Reichensperger fragte, ob denn der katholische Süden die Hegemonie des protestantischen Nordens überhaupt vertrage und ob denn die Massen homogen und flüssig genug seien, um ein Kaiser­bild daraus gießen zu können. Ultramontane und Liberale, Monarchi­sten und demokratische Republikaner, Partikularisten und Wortführer des Unitarismus der Freiheit verhinderten den Mehrheitsbeschluß über die staatsrechtliche Natur des Kaisertums der Deutschen, dessen Schaf­fung doch' grundsätzlich beschlossen worden war, und so weit gedieh der Gegensatz, daß von erbkaiserlicher Seite erklärt wurde, der deutsche Kaiser werde auf dem Schlachtfelde, nicht in der Paulskirche gemacht werdeh, als sich das österreichische Ministerium gegen den Plan des engeren und weiteren Bundes aussprach und ein großes Deutsch­land, dem Österreich mit seinem ganzen bunten Ländergefüge an­gehören sollte, dem Parlament vor Augen stellte. Der entscheidendste Schlag erfolgte von Österreich selbst, eben damals, als die großdeutschen Konservativen und Liberalen ihr Bündnis mit den Demokraten enger schlossen: die Auflösung des Reichstages von Kremsier und der Erlaß der zentralistischen Gesamtstaatsver­fassung Österreichs vom 4. März 1849, zugleich die Forderung, daß dieser österreichische Gesamtstaat in den deutschen Bund eintrete; ihm sollte kein geschlossener, engerer deutscher Nationalstaat im Bunde gegenüberstehen. Der Traum vom deutschen Volksstaate sollte ausgeträumt sein: dieses großösterreichische Programm, das nicht als großdeutsch bezeichnet werden dürfte, lehnte nicht nur die Bildung eines deutschen Nationalstaates schlechthin ab, es wollte auch von einem deutschen Gesamtparlament auf Grund von Volkswahlen nichts wissen, wollte nur ein Staatenhäus aus Delegierten der Landtage schaffen, in dem 38 österreichische Abgeordnete und 32 außeröster­reichische Deutsche, der Mjillionenanzahl des österreichischen und der nichtösterreichischen Bestandteile des deutschen Bundes entspre­chend, sitzen sollten, und an der Spitze dieses von 'Österreich beherrschten mitteleuropäischen Gebildes sollte ein Direktorium stehen. So stark auch die Stützen dieses Siebzigmillionenplanes in der zen­tralistischen Gesinnung weiter Kreise des Deutschösterreichertumsi waren, das Deutsche an dieser Idee, die Verbindung mit dem groß­deutschen Gedanken, beruhte letzten Endes auf einer Unmöglichkeit: der Germanisierung des nichtdeutschen Österreichs, einschließlich Un­365

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