Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

Es sind die Fortschritte der Erkenntnis, die über die Romantik hinaus gemacht worden sind, wesentlich innerhalb ihres Kreises und auf dem Weg der historischen, das heißt 'der romantischen Schule gemacht worden. Stets wird es lohnend bleiben, zu ermitteln, welche besonderen Aufklärungen wir Schelling, Fichte, den ro­mantischen Literaten und Fachgelehrten, Hegel verdanken. Mehrfach wird es schwer oder unmöglich sein, die persönlichen Verdienst'- anteile scharf zu trennen. Oft wird eine Vulgata anzuerkennen sein, die seit den Tagen jener Männer besteht. Abschließend hat indessen doch wohl die bisherige Forschung festgestellt, daß der romantische Faktor der überragend stärkere gewesen ist. Und gerade das, was die „Soziologie“ uns bringen will, besitzen wir seit der Zeit der Romantik. Wenn es heute anerkannt wird1, daß „das formale und materiale Verhältnis des einzelnen zur Gemeinschaft zweifellos (bewußt oder unbewußt) für jeden ein Hauptproblem bildet, der den üblichen Tatsachenstoff des Geschichtsunterrichts als ein verstandenes Wissen wiederzugeben bemüht ist“, so hat sich diese Erkenntnis durch die Romantik und seit ihr eingebürgert. Wenn gegenwärtig von Treitschkes „Deutscher Geschichte“ gerühmt wird2, sie „ist gerade für die Be­handlung der öffentlichen Meinung ein in aller Geschichtsschreibung unerreichtes Muster; sie blieb recht eigentlich das, was sie dem Verfasser bereits zu Beginn der Studien, die er ihr widmete, erschienen war: eine Geschichte nicht so sehr politischer Aktionen wie des daß Ihering die „Dynamik“ der historischen Kräfte (nicht aber ihr Wesen) anders beurteilte. Ist bei Savigny die Rechtsentwicklung ein stillefließender Bach, so ist sie hier ein reißendes Gewässer. Der epische Fluß wird dramatisch; die stetig wachsenden Mächte werden kämpfende Mächte; immer aber bleibt gegenüber der abstrakten Norm des rationalistischen Naturrechts der beson­dere Charakter einer sich (still oder kämpfend) durchsetzenden sittlichen Substanz^des „Lebens“ erhalten. Auch Iherings Begriff des „Charakters“ ist, neben das Naturrecht und sein individualisiertes Korrelat: die „Person“ gehal­ten, ein Miniaturbild des Volksgeistes. Und diese Wahrnehmung einer starken Spannung in der Entwicklung ist für die historische Schule nichts Unerhörtes. Hegel hatte sie behauptet! Heinrich Leo illustriert in seinen hochinteressanten „Nominalistischen Gedankenspänen“ die Anschauungen der historischen Schule an der Entwicklung der Universität Paris, bzw. durch die Schilderung der Vor­gänge, die zum Recht eines eigenen Siegels führten, und hier ist Savignys Auf­fassung der Entwicklung ebenfalls dramatisiert, ohne daß die Grund­anschauung verändert wäre.“ Durch diese inhaltsreichen Darlegungen erfährt der Satz, daß die Romantik innerhalb ihres eigenen Kreises ihre Anschauungen ergänzt, berichtigt, vervollkommnet hat, eine beträchtliche Verstärkung. 1 Kende, in der Zeitschrift „Österreich“, Bd. 1, S. 613. 2 0, Westphal, Welt- und Staatsauffasung des deutschen Liberalismus (Histor. Bibi., Bd. 41), S. 6. Treitschke auch in soziologischer Erklärung den modernen Positivisten überlegen: 0. Braun, Aus nachgelassenen Schriften (1920), S. 214.

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