Historische Blaetter 2. (1921)
G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft
druck, daß ganz beträchtliche und unbestreitbare Verdienste der historischen Schule heute der Soziologie gutgeschrieben werden.“ Während die Rationalisten die historischen Vorgänge, die Handlungen der Menschen vorzugsweise aus Einzelursachen, und zwar mit Vorliebe aus bewußter Berechnung herleiteten, betonten die Romantiker die Abhängigkeit des Menschen von allgemeinen Kräften, von dem Über- und Interindividuellen, dem Unbewußten, Unerklärlichen, dem Geschichtlichen, Gegebenen, suchten sie das einzelne der Romantik gewonnen sind. In der Hauptsache ist der Rationalismus des 18. Jahrhunderts (vgl. m. Geschichtschreibung S. 10) der soziologischen Betrachtungsweise entgegengesetzt, über das Unhistorische und darum zugleich .Unsoziologische des Rationalismus vgl. auch Rothacker S. 24 f. Mit Recht lehnt Rothacker S. 136 den Versuch von Tröltsch ab, Usener aus dem 18. Jahrhundert herzuleiten. Vgl. m. „Geschichtschreibung“, S. 100, Anm. 1. Die große Ausdehnung des Beobachtungsfeldes, durch die die Romantiker (A. W. Schlegel, J. Grimm (vgl. z. B. Neckel, Deutsche Literaturzeitung 1921, Nr. 16/17, Sp. 237 f.) usw.) den älteren Forschern überlegen sind, ist die Voraussetzung für die Ausbildung einer vergleichenden Methode. — Binding, Strafrechtliche und strafprozessualische Abhandlungen, I, S. 14: „So lange es eine Strafrechtspflege gibt, hat sie Verbrechersoziologie treiben müssen, zur Zeit der absolut bestimmten Strafen freilich noch unvollkommen genug, von der Erfindung der relativen Strafe an eingehender und bedächtiger und ergiebiger.“ „Aus der modernen Soziologie habe ich zum Verständnis der Verbrecherwelt und ihrer Aktion nichts gelernt, was mir nicht schon längst geläufig war.“ — Tönnies will es nicht oder nur wenig gelten lassen, daß die Romantik die besten Gedanken der modernen Soziologie vorweggenommen hat; siehe meine Bemerkungen gegen seine Auffassung im Weltwirtschaftlichen Archiv 1921, Bd. 16, S. 519 f. Aber gerade sein Buch „Gemeinschaft und Gesellschaft“, doch wohl die stärkste Leistung aus der sog. „soziologischen“ Literatur Deutschlands, verdankt sein Bestes der deutschen Romantik. Er ist sich dessen nicht bewußt, trotzdem er die entsprechenden Schlußfolgerungen aus seinen eigenen Mitteilungen (in der 2. Aufl. seines Buches) über die interessante Ahnengalerie seiner Anschauungen leicht hätte ziehen können. Seine Darstellung der „Gemeinschaft“ ist die zusammenfassende Verarbeitung des idealistisch-romantischen Kulturtyps und -ideals des „organischen“ Zeitalters, und seine Charakteristik der rationalisierten Welt der-„Gesellschaft“ ist von diesem romantischen Blickpunkt aus gezeichnet, sachlich eher aus der Perspektive H. Leos als aus der der Marburger Philosophen, mit denen in Gemeinschaft zu stehen T. prunkt. Vgl. Weltw. Archiv a. a. 0., S. 522. Liter. Zentralblatt 1921, Sp. 16. Über die Gegenüberstellung des „organisch Gewordenen“ und des „künstlich Gemachten“ in der Romantik s. z. B. Gierke, „Die historische Rechtsschule“, S. 9. Staudinger und W. Metzger, „Gesellschaft, Recht und Staat in der Ethik des deutschen Idealismus“ (1917), S. 12, fordern, daß den von Tönnies geschilderten beiden Lebensverhältnissen der Gemeinschaft und Gesellschaft noch ein drittes, das Gewaltverhältnis, hinzugefügt werde, wenn man die Grundbeziehungen gewinnen wolle, die den Menschen in ganz verschiedener Weise in seinem Willen lenken und beherrschen. Die Arts in der Tönnies diese Auffassung ablehnt (Deutsche Literaturzeitung 1919, Nr. 43, Sp. 838), ist altromantisch und erinnert etwa an Savigny. Zur Kritik von Tönnies’ Formulierungen s. Metzger a. a. 0.; Weltw. Archiv a. a, O., S. 521 f. — Zu meinem Heft 1, S. 17 ff., geführten Nachweis, daß der Einfluß der Romantik auf die Geschichtschreibung den von Hegel bei weitem übertrifft, vgl. jetzt die soeben erschienene Besprechung der Hellerschen Schrift von 0. Hintze in Schmollers Jahrbuch 1921, S. 595 f., wo auch der Überschätzung Hegels entgegengetreten und u. a. geltend gemacht wird, daß „in dem Zeitalter Napoleons der Welt so nachdrücklich zu Gemüt geführt worden war, daß der Staat Macht sei, daß es kaum berechtigt ist, die Einsicht überall, wo sie sich zeigt, auf Hegel zurückzuführen“.