Historische Blaetter 2. (1921)
Carl Brinkmann: Neue Bücher. Das österreichische Staats- und Reichsproblem
Prager Pfingstaufstand sie im Grunde überhaupt zur Beschickung des ersten Reichstags bewog. Hier kam es dann in den beiden Fünferausschüssen für die Grundrechte und den übrigen Verfassungsentwurf zu einem, wie Redlich mit Recht betont, für die Zukunft keinewegs unfruchtbaren Zusammenwirken mit dem deutschen Liberalismus, der inzwischen (wir wissen es durch die neuen Forschungen Konrad Hugelmanns), in den ruhigeren Formen des Wiener Ständischen Zentralausschusses seinen eigenen Begriff der Länderautonomie als Selbstverwaltungsprinzip ausgearbeitet hatte. Gerade das Kremsierer Kompromiß zwischen den mehr zentralistischen Deutschen, deren politischeste Köpfe, wie Kajetan Mayer, Lesser und vor allem Alexander Bach, später bekanntlich zum Absolutismus übergingen, und den mehr föderalistischen Tschechen mit ihrem schweizerisch- amerikanischen Bundesstaatsideal hat dann (dem überzeugenden Nachweis Redliche gemäß) durch Schwarzenbergs Innenminister Franz Stadion, seine Gesamtstaatsverfassung und seinen Gemeindegesetzentwurf vom 15. März 1849 einen noch ungleich tieferen Einfluß auf die folgende Reaktionsperiode ausgeübt, als in der analogen preußischen Verfassungsentwicklung die Nationalversammlung durch das Oktroyierungsministerium Brandenburg-Manteuffel. Vielleicht die erste Stelle, an der Redlichs breit und allgemein angelegte Darstellung sich mehr, als man wünschen möchte, auf die unmittelbaren Vorgänge im Staatszentrum einengt, ist die jähe Unterbrechung der Stadionschen Reform durch die Sistierung der Märzverfassung und den „Neuabsolutismus“ des Kübeck- Bachschen Reichsratsregimes mit dem Silvesterpatent von 1851. Der Abschluß der deutschen Revolution und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes, die Redlich (im Schlußkapitel seines vierten Abschnittes über den Neuabsolutismus) in den Vordergrund rückt, sind doch mehr Begleitumstände gewesen. Tiefer führt schon die bemerkenswerte liberalistische Gegenbewegung gegen die ständische Autonomie, die am Beispiel der Broschüre des Grafen Hartig „Zwei brennende Fragen“ geschildert wird und eine eigenartige Parallele zu dem gleichzeitigen Empire libára! Napoleons III. bildet. Die Überzeugung von der Überlegenheit monarchisch-bureaukratischer über ständisch-aristokratische Regierung, die ja auch das preußische Beamtentum derselben Zeit fühlbar über die Reaktion erhob, war der Boden, auf dem in Männern wie Kübeck und Bach (in diesem witterte schon Grillparzer a. a. 0. 178 den „entrepreneur des revolutions im Aufträge gewisser Hofpersonen“) der Geist Metternichs mit allen seinen Licht- und Schattenseiten noch einmal siegreich der ständischen und nationalen Dezentralisation entgegentrat. Erst eine Forschung, die auch für diese Zeit wie für 1848 die peripheren Schauplätze jenes Dezentralisationsibestrebens von Böhmen über die deutschen Kron- länder bis nach Ungarn ins Auge faßte, könnte der geschichtlichen Notwendigkeit des absolutistischen Staatsstreiches in Österreich ganz gerecht werden. Sie würde zugleich dartun, wie dann die Heftigkeit der empfangenen Erschütterung im Zusammenhang mit der Zuspitzung der deutschen Frage die österreichische Verfassungsgeschichte noch zweimal in die entgegengesetzten Richtungen des ständischen Föderalismus und des monarchischen Zentralismus schwanken ließ, bevor Schmerlings Februarpatent' von 1861 den Kurs auf den späteren Konstitutionalismus einstellen konnte. Auch hier, zwischen den Epochen von 1851 und 1859, erleidet die Stetigkeit der Redlichschen Darstellung wieder eine Unerbrechung, die durch die allgemeinen Ausführungen über die grundlegende Geistesart der Bachschen Verwaltung kaum weniger fühlbar, wird. Wertvollster Erkenntnisstoff für die Vorgeschichte der Katastrophe von 1859 liegt roh oder halbverarbeitet in den (obendrein durch keine Inhaltsübersicht gegliederten) Exkursen und Anhängen des zweiten Teiles: Die Bachsche Denkschrift über die Revision der Märzverfassung und die „Nachweisende Zusammenstellung“ über die Beratungen der Revisionskommission (S. 133 ff.), das Memoire des Außenministers Buol vom Juli 1859 über die Übelstände des bisherigen Regierungssystems (S 234 ff.) und die (nach I, 575 Anm.) wahrscheinlich von Desséwffy oder Szögyeny verfaßte Denkschrift „Verfassung Österreichs auf ungarischen Grundlagen“ (S. 243 ff., an der angeführten Stelle von Bd. I heißt es „ungarischer Grundlage“). Der tiefste Grund dieser in gewissem Sinne stiefmütterlichen Behandlung der Übergänge in der österreichisch-ungarischen Verfassungskrisis ist vielleicht eine leise aber deut-