Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

Meeres für die deutsche Nation kräftig hervorhoben und der mittel­europäischen Gedanke sich herauszubilden begann. Aber noch etwas kam dazu, was nicht gerade ausgesprochen, aber doch, und zwar nicht nur in Österreich, empfunden wurde. So lange das riesenhafte, immerfort nach Ausdehnung seiner Herrschaft strebende zarische Russenreich be­stand, war auch ein großes Österreich nötig, das die Kräfte vieler Völker zusammenfaßte. Diese Vorstellung liegt ja auch dem deutsch-öster­reichischen Bündnis von 1879 zugrunde. Das russische Imperium und die habsburgische Monarchie waren gleichsam logisch voneinander ab­hängig; diese beiden Erben türkischer und polnischer Hinterlassen­schaftsstücke, diese Rivalen auf dem Balkan, diese, einander miß­trauisch und oft feindselig betrachtenden Nachbarn gehörten geschicht­lich und politisch trotzdem zusammen. Durch das Bündnis wurde der österreichische Staatsgedanke bei den Deutschösterreichern noch gekräf- tigt, ebenso fürs erste bei den Magyaren; aber bei den Tschechen wurde er geschwächt. Und als er nun bei ihnen und anderen Nichtdeutschen zurückwich, so daß die westliche Hälfte der Monarchie von den neun­ziger Jahren an, obwohf, wie sich im Kriege gezeigt hat, die Massen noch kaisertreu waren, nur noch mühsam ihre staatlichen Funktionen er­füllen konnte, als der Neoslawismus mit russischer Hilfe immer tiefer wühlte, als die Magyaren in ihrer Verblendung förmlich die Totengräber­schaufel ergriffen — hätte sich da nicht, vielleicht schon vor der Jahrhun­dertwende, Deutschland von den Habsburgern lossagen und sich auf ihre Kosten mit Rußland verständigen sollen? Hat nicht Bismarck an eine solche Zukunftskombination gedacht als er davon sprach, daß kein Bündnis ewig sei? Er wollte die Reibungen mit Rußland nicht ver­mehren. Er hat davon abgeraten, im Orient einzugreifen und gerade dort nahm das wilhelminische Deutschland, aus kommerziellen und auch aus kaiserlich romantischen Gründen entschieden Partei, half sogar, was sich während des Krieges insofern lohnte, als die Türken die Ver­bindung zwischen den Weststaaten und dem munitionsbedürftigen Ruß­land sperrten, das türkische Heer aufrichten. Man denke an die Mission Liman-Sanders, die so viel Ärger in Petersburg erregte und die auch von den Engländern, die doch die türkische Marine unter ihrer Hand hielten, übel vermerkt wurde. Deutschland belud sich mit der Serge für das innerlich und außen bedrängte Habsburger Reich und für das sinkende Reich des Sultans. Hätte es aber Österreich fallen lassen sollen, so lange das Zarenreich wie ein Koloß dastand und daher, wenn man mit ihm teilte, jeder Zuwachs Deutschlands an slawischer Bevölkerung oder auch nur die Begründung eines selbständigen tschechischen und eines bis

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