Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

russisch-englischen Antagonismus in diesen Gebieten hineinzumengen h Münchs Beobachtung entging es nicht, daß in dem Ideengang Bismarcks die Politik Englands eine große Rolle spiele. Einer flüchtigen Bemer­kung desselben konnte er entnehmen, daß in einer späteren Phase der orientalischen Frage Rußland, Frankreich und Italien sich auf der einen, Deutschland, Österreich-Ungarn und England sich auf der andern Seite befinden werden1 2. Der deutsche Kanzler setzte dann dem Abgesandten Andrássys die diesem bereits bekannten Prinzipien seiner Politik gegenüber der Monarchie und Rußland auseinander. Nachdrücklich hob er hervor, wie Deutschland einen Krieg zwischen Rußland und Österreich-Ungarn hintan halten müsse, um nicht zwischen zwei „revanchesüchtige Völ­ker“ — Frankreich und Rußland — zu geraten, falls das Zarenreich im Kampfe mit der Monarchie unterliegen sollte3. Bei der Unterredung kam das Gespräch auch auf die Haltung Ita­liens. Im Sinne der Instruktion Andrássys hatte Baron Münch auf die Notwendigkeit hinzuweisen, für die Sicherung der Grenzen gegen Italien einen Bundesgenossen suchen zu müssen und daß Österreich- Ungarn hiebei in erster Linie an Deutschland denke. Die Antwort, die Bismarck hierauf erteilte, ist kennzeichnend für seine ganze politische, auf die Erhaltung des Friedens gerichtete Denkungsart. Er wollte sich in keiner Weise auf irgend etwas festlegen lassen, das Deutschland aus einem friedlichen Machtfaktor in einen kriegerischen verwandeln könnte. Der Kanzler erzählte Baron Münch, daß er der Beantwortung der unlängst durch1 General Werder aus Petersburg an ihn gerichteten Anfrage, ob er sich in einem russisch-österreichisch­ungarischen Kriege neutral verhalten würde, ausgewichen sei, weil sie eine „Österreich feindliche Spitze“ involvierte. Aus demselben Grunde, meinte er weiter, vermöge er jetzt auch nicht auf den Wunsch Andrássys einzugehen, weil dieser eine „Rußland feindliche Spitze“ in sich schließe. Verbände er sich heute — setzte der Kanzler aus­einander— Italiens wegen mit der Monarchie, so hieße das so viel, als sich gegen Rußland mit ihr verbinden4. Denn einen eventuellen Krieg gegen Italien könnte er nur in der Art führen, daß er das benachbarte Rußland angreife, um Österreich-Ungarns Truppen gegen Italien ver­fügbar zu machen5. Gäbe er also jetzt bezüglich Italiens ein bindendes 1 Idem: ein Fragezeichen. 2 Andrássy machte bei dieser Stelle in margine zwei Striche. 3 Andrássy in margine: ein Ausrufungszeichen. 4 Andrássy in margine: ein Fragezeichen. 5 Idem: ein Fragezeichen. 71

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