Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Necrologie

Necrologie. 19 neues umfassendes Werk, „Stadium", folgte. All diese Werke waren in ungarischer Sprache und mit einer Eleganz geschrieben, die damals noch ohne Beispiel dastand; mit einem tief einschneidenden Sar­kasmus wußte Széchényi seine Gegner unter dem Gelächter des Publikums zu Tode zu geißeln. Seine Manier war nur scheinbar eine rhapsodische; es drängte sich eine solche Fülle sprühender Gedanken in diesem genialen Kopfe, daß sie nie einzeln und nur so weit als sie zur Sache gehörten, sondern stets Katarakten gleich aus seiner Feder stürzten; aber kaum war die Fluth verrauscht, als der Ver­fasser auch schon wieder seinen Faden aufnahm. Im Jahre 1831 schrieb Széchényi ferner eineBro- chüre über das „ungarische Theater", worin er die Gründung eines stabilen ungarischen Schau­spielhauses und Conservatoriums vorschlug; beide Institute stehen heute in voller Blüthe. Die D o- n a n d a m p f s ch i f f f a h r t ist sein Werk, die Idee der Pester Kettenbrücke stammt von ihm her, und schon 1833 unternahm er in dieser Angelegen­heit in Begleitung des Grafen Georg Andrässy eine Reise nach England. Ein Jahr später finden wir ihn am Eisernen Thor, wo er umfassende Studien über die Möglichkeit einer Sprengung der dortigen Felsen anstellte; der Ofner Tunnel, die Dampfschifffahrt auf der Theiß und auf dem Plattensee, Straßen Verbesserung und Eisenbahnbau, ganz besonders aber das rie­sige Werk der T h e i ß r e g u l i r u n g, kurz man kann sagen alles, was vor dem Jahre 1848 an praktischen Reformen ins Leben trat, ist das Werk Szüchenyi's, und Vieles, was erst im letzten Jahr­zehent zur Ausführung gelangte, ist bereits viel früher von ihm angeregt worden. Dabei war er auch auf literarischem Gebiete unermüdlich thätig; im Laufe von nicht ganz zehn Jahren schrieb er: „Einige Worte über Pferderennen" (1838), „Das Volk des Osten" (1841), „lieber die un­garische Akademie" (1841), „Minimum" (1842), „Steuer und zwei Groschen" (1843), „An die privilegirten Bewohner Ungarns" und „Gedanken­fragmente zur Theißregulirung" (1845), „Platten­see-Dampfschifffahrt" (1846), „Politische Programm­fragmente" und „lieber die Regulirung des Com- munieationswesens" (1847). Außer der Literatur, durch welche Széchényi in so großartigem Maße wirkte, war das B e r e i n s w e s e n sein Lieblings­gebiet, auf dem er gleichfalls glänzende Erfolge er­zielte. Da er dreizehn Mal in England gewesen, brachte er besonders von dort reiche Erfahrungen in dieser Richtung mit nach Hause; und seine Er­nennung zum königlichen Kommissär beweist, daß er zur Erreichung des Zweckes auch solche Mittel nicht zurückwies, welche den Helden der Gravamina-Politik mißliebig waren. Seine politische Laufbahn ent­fernte sich von derjenigen der letzteren immer mehr. Er benutzte jedes Element, jedes Mittel, welches zur Erreichung des angestrebten Zweckes führte, und da er vom ersten Augenblicke seines politischen Auf­tretens angefangen stets ein Mann der Utilisation, und nicht so sehr Opposition zu machen, wie zu organisiren bemüht war, so konnte er dem Tadel Derjenigen, welche um jeden Preis Opposition mach­ten, nicht entgehen. Auch der treue Freund seiner Jugend, Wesselényi, entfernte sich von ihm. Graf Szvchenyi's Auftreten war Anfangs in der That agitatorisch und offensiv, seine Politik hinsichtlich der alten Prinzipien und Doktrinen revolutionär, der Ton seiner Schriften scharf und angreifend; gegen die Sünden und Vorurtheile seiner Nation führte er die heftigsten Hiebe. Allein — er riß nieder, nur weil er den Willen und die Kraft zu bauen in sich spürte. Daher mußte er natürlich, wie frü­her mit den Leuten des Stillstandes, so später mit den Männern der Bewegung, welche er für excen- trisch hielt, in Collision gerathen. So kam es, daß die Polemiken des großen Mannes, namentlich mit dem „Pesti Hirlap" und seine in der Akademie gehaltene, den hypernationalen Eifer zurückweisende Rede, endlich seine Annahme der Statthaltereiraths- stelle und des Excellenctitels von der Opposition hart angegriffen wurden, und er bei der gedanken­losen Menge seine Popularität einbüßte. Auf seiner glänzenden, jedoch der Blume der Popularität be­raubten Laufbahn entschlossen fortschreitend, wurde er Präses der Statthaltereiabtheilung für Commu- nicationen und Geheiiuerath. Da nach dem Land­tage von 1840 Szüchenyi's Popularität und Ein­fluß in Folge der heftigen Polemik mit dem „Pesti Hirlap" in ihren Grundfesten erschüttert wurden, so spielte er auf dem Landtage 1843/44 eine we­niger einflußreiche Rolle, obwohl auch da die Aus­dehnung der Amtsfähigkeit auf alle Landessöhne durch ihn eine bessere Fassung bekam, und er die unbeschränkte Besitzfähigkeit warm befürwortete. Seine wirkungsvollste Rede in der Steuerfrage hielt er am 28. Oktober 1844, an welchem Tage er zur Feier der principiellen Annahme der allgemeinen Besteuerung in einem glänzenden Kleid aus rothem Sammet in der Versammlung erschien. Doch seine begeisterte Agitation in dieser Angelegenheit führte zu keinem Ziel; das Princip wurde wohl ausge­sprochen, aber nicht formulirt. Nach Baron Sig­mund Kemsny's treuer Characteristik war Szöchenyi's Antlitz der Typus der Kraft und inneren Zerrissen­heit; ein romantisches Gesicht mit finsteren Zügen ; unermüdliche Thatkraft, Misanthropie und Menschen­liebe, Schwärmerei und Kälte waren da zugleich ausgedrückt; ein würdevolles, ernstes, englisch-oli- garchisches Antlitz, von dem im Verborgenen loderw den Feuer französischer Revolutionsideen beleuchtet, doch nicht in Bewegung gebracht; ein Gesicht, in welchem sich große Entschlüsse und kleine Sorgen, 2*

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