Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)

Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Nachtrag

Nachtrag zur Nekrologie. 201 Bervnyi, Anton Graf, quieseirter Propst von Waag-Nenstadtl, verschied zu Tirnau aut 1. Ok­tober in seinem sechzigsten Lebensjahre. Als, zweiund- zwanzigjähriger Jüngling zum Probst von Neustadtl ernannt, fühlte er sich bald in seinem Wirkungskreis zu sehr beengt und faßte daher den Entschluß, als Missionär nach Amerika zu gehen. Nächst Baltimore gründete er eine katholische Gemeinde, die sich bald auf 10.000 Seelen belief. Dort erbaute er mit gro­ßen Schwierigkeiten eine hölzerne Kirche, in deren unterirdischem gruftartigem Raum er mit einem In­dianer, den er zum Kirchendiener und Ministranten gebildet, seine Wohnung aufschlug. Im Zeiträume von sechs Monaten hatte er sich die indische Sprache so eigen gemacht, daß er beredte Predigten hielt, und Tausende heranströmten, sich an denselben zu erbauen. Die Ereignisse des Jahres 1848 führten ihn in sein Vaterland zurück, wo er durch Reden und Predigten an das Volk die aufgeregten Gemüther zu beschwich­tigen hoffte. Drei Jahre später zog es ihn wieder zurück zu den Neubekchrten, die ihn mit Begeisterung empfingen und ihm aus Dankbarkeit ein bequemes Pfarrhaus erbauen ließen. Unendliche Leiden und Ent­behrungen, die er auf dem mühseligen Pfade seines Berufes erdulden mußte, so wie ein Schiffbruch ans dem atlantischen Ozean zogen ihm eine schwere Krank­heit zu und legten den Keim zu einer Auszehrung, in deren Folge er sich bewogen fand , seine Heimat wieder aufzusuchen. Vrunel, Einer der bedeutendsten Ingenieure England’s und der ganzen Jetztzeit, starb im Alter von 54 Jahren, am 16. September in London an ken Folgen eines Schlagflusses, der ihn getroffen. In die Fußtapfen seines berühmten Vaters tretend, zeigte er schon als Knabe, daß er berufen sei, dessen Namen mit Ehren zu tragen. Der Themsetunnel, den der ältere 23nmei begonnen hatte, die Docks in Sun­derland und Bristol, die Brückcnbauten überden Avon bei Clipton, und eine Menge Eisenbahnen, darunter die Great Western Bahn, die Veranlassung zu dem großen Kampfe über weit- und engspurige Geleise wurde, gehören zu den Werken, die ihm einen Weltnamen verschafft haben. Er war es, der zumeist dem Bau eiserner Schiffe mächtig das Wort redete, und den Plan zu den größten Dampfern ihrer Zeit, dem „Great Britain" und „Great Western" entwarf. Durch ihn wurde die Schraube aus der britischen Kriegsflotte zu Ehren gebracht, und durch ihn ist der Plan zum „Great Eaftern" entworfen worden, dessen erste Probefahrt und Unglück er nicht erleben sollte. Die geistige Anstrengung und Aufregung, die er wäh­rend der Ausführung dieses seines Lieblingsprojektes durchzumachen hatte, soll viel zu seinem frühzeitigen Tode beigetragen haben. Doch ist es bekannt, daß er schon viele Jahre lang kränkelte, und seine größten Arbeiten unter steten körperlichen Leiden betrieben hatte. Was seine Biographen nächst seinem großen Zeichnertalente, seiner wahrhaft künstlerischen Rich­tung und seinen umfassenden Fachkenntniffen, am meisten an ihm rühmen, ist, daß er von der leidigen Handwerkseitelkeit und Mißgunst so ganz frei war. Er unterstützte jeden mitstrebenden Kollegen, ließ je­dem Talente volle Gerechtigkeit widerfahren und stand unter anderem inti Rob. Stephenson, den eraufme- chanisch-wissenschaftlichem Gebiete oft befehdet hatte, bis an sein Lebensende in würdig freundschaftlichen Beziehungen. Chantelauze, Jean Claude Balthasar Victor von, starb zu Paris im Juli. Er war Großsiegelbe­wahrer im Kabinet des Fürsten Polignac und soll die Juliordonnanzen abgefaßt haben. 1786 zu Mont- brisson geboren, war er über 70 Jahre alt geworden. Es ist bekannt, daß er 1830 nach der Julirevolution bei der Flucht über die Loire erkannt und festgehal- ren wurde. In den Prozeß seiner Kollegen verwickelt, saß er mit dem Fürsten Polignac, dem Grafen Pey- ronnet und Herrn v. Guernon - Ranville bis zur Amnestie von 1836 in Ham gefangen. Er ist nie wieder aus dem Privatleben hervorgetreten. De Potter, Louis, Einer der Haupturheber der belgischen Revolution von 1830, berühmter Kir­chenhistoriker und Publicist, starb über 73 Jahre alt am 22. Juli in Brügge. Als einem Mitgliede der damaligen provisorischen Regierung, als dem Ver­fasser zahlreicher antiklerikaler Schriften, als dem Hauptbekämpfer des Holländischen Systems und als dem Hersteller der Union zwischen den Liberalen und Katholiken, durch welche die Losreißung Belgien's von Holland erst ermöglicht ward, siel ihm im No­vember 1830 die Aufgabe zu, den belgischen Natio- nalcongreß zu eröffnen. Gleich darauf legte er, da er sich mit seinen Collégén von der provisorischen Regie­rung überworsen, sein Mandat nieder und zog sich von jeder aktiven Betheiligung an der Politik zurück, um als Privatpublicist seinen republikanischen und anti­ultramontanen Grundsätzen getreu zu bleiben. Der belgische „Moniteur" begnügte sich daher auch, den Heimgang des einst Vielgefeierten in Einer Zeile anzuzeigen: dagegen bewies das Begräbniß, daß das Volk ihn nicht vergessen. Auf den eigenen Wunsch des Verschiedenen wurde seine Bestattuug in Brüssel ohne das übliche militärische Ehrengeleit, auf das er als Mitglied der provisorischen Regierung volles Anrecht hatte, ohne den Beistand der Geistlichkeit, ohne alles Gepränge, selbst ohne Grabrede vollzogen : aber der schmucklosen Bahre folgte unbedeckten Haup­tes und in feierlicher Stille ein unabsehbar langer Zug von Leidtragenden nach. Dieterici, preußischer Geheimer-Oberregie­rungsrath und Professor, der Vater der preußischen Statistik, starb Ende Juli in Berlin, seiner Geburts- stadt, im 69. Lebensjahre. Er hatte die Befreiungs­kriege mitgemacht, dann bei der Berliner und Pots­13

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