Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)
Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Geschichte des Jahres
Geschichte des Jahres. 115 seine Stimme mit England zu Gunsten einer Ausgleichung vereint habe, während einige Agitatoren den deutschen Bund gegen Napoleon zu Hetzen trachteten." Die einzige Notiz welche die „Wien. Ztg." von dieser Erklärung nahm, bestand darin, daß sie ihrerseits anzeigte, sie werde jetzt die Rubrik „ftanzö- sische Rüstungen" wieder erngehen lassen, da der „Moniteur" vom 15. selber den Artikel vom 5. dabin interpretirt habe, daß Frankreich nur gegen Deutschland nicht waffne. Beiden eigentlichen Adressaten der Note erreichte dieselbe dagegen ihren Zweck so vollständig, daß das Organ der französischen Regierung schon am 7. April mit Freuden konstatiren konnte, der Kaiser habe sich in seinem Vertrauen aus Deutschland nicht getäuscht; Frankreich biete aber auch durch seine Bestrebungen an der untern Donau und in Italien, so wie durch die passive Haltung, die es trotz seiner Freundschaft für Dänemark in der holsteinischen Frage beobachtet habe, alle möglichen nationalen Garantien, da seine Politik nicht zweierlei Maß und Gewicht haben könne. Inzwischen hatten die übrigen Großmächte bereits seit geraumer Frist das Werk der Vermittlung begonnen: einstweilen spielte dabei En g l a nd die erste Rolle, da Rußland, wie sich bald heraus- ftellte, eher als Sekundant Frankreichs, denn als Mediator zu betrachten war, und Preußen um seiner Beziehungen zum Bunde einer-, zu Oesterreich andrerseits willen ebenfalls an dem Konflikte viel zu unmittelbar Letheiligt erschien, als daß Letzteres nicht von vorne herein darauf hätte hinarberten sollen, in dem Berliner Hofe einen Allitrten und nicht einen Kampfrichter zu finden. Gleich in der Eröffnungssitzung des Parlamentes am 3. Feber erklärte Earl Derby im Oberhause, daß alle obschwebenden Differenzen eine friedliche Ausgleichung zuließen. Bei den Gemeinen sprach Palmerston mit Heftigkeit gegen die Fortdauer der ausländischen Occupationen in Rom und den Legationen, worauf Disraeli entgegnete, die Heilung der italienischen Zustande sei in Reformen , nicht in einer Verletzung der Verträge zu suchen. Als am 25. Palmerston auf's neue anfragte, wie cs mit den Friedenshoffnungen stände, zeigte der Schatzkanzler an, daß erdie RäumungdesKirchenstaates erwarten zu dürfen glaube. In der That hatte 3 Tage vorher Kardinal Antonelli den Gesandten Oefterreich'S und Frankreich's gemeldet, der Papst fühle sich stark genug, um der Occupationen entbehren zu können; und am 26. beschloß der Ministerrath in Paris die Abberufung der französischen Besatzung aus der Hauptstadt des Kirchenstaates, falls auch die Wiener Regierung den Abmarsch ihrer in der Romagnä sta- tionirenden Garnisonen verfüge. Nachdem die Räumung, obwohl sie nicht zur Ausführung kam, von beiden Theilen im Prinzipe zugestanden und somit die Gefahr eines plötzlichen Zusammenstoßes zwischen Oesterreich und Frankreich beseitigt war: galt es eine ähnliche Konzession von Oesterreich und Sardinien zu erhalten — dann konn:e das Terrain als für diplomatische Unterhandlungin geebnet betrachtet wer- rcn. Auf eine deshalb an ihn ergehende Anfrage des Earl Malmesbury nahm Graf Buol keinen Anstand zu versprechen, daß Oesterreich sich jedes aggressiven Aktes enthalten werde, so lange Piemont weder die Lombardei noch die Herzogthümer angreifen werde, obschon der kaiserliche Minister in derselben Depesche Sardinien als den einzigenStörenfried der Halbinsel und eine auf diesen Start auszuübende Pression, die ihn zwinge sich aus die ihm durch die Traktate gezogenen Grenzen zu beschränken, die Unabhängigkeit der anderen italienischen Fürsten zu achten und von der Anfachung des revolutionären Geistes auf der ganzen Halbinsel abzulassm, als das einzige Heilmittel bezeichnete. Weit ungeberdiger stellte Graf Ca- vour sich an. Die ersten Ermahnungen Malmesbury's zur Mäßigung und eine Zurechtweisung wegen der Anwerbung fahnenflüchtiger Deserteurs wies er kurzweg von der Hand unter dem Vorwände, daß englische Interessen dadurch nicht beeinträchtigt würden und daß Piemont die Ausreißer enrolliren müsse, damit sie nicht ihm selber gefährlich würden. Ja, er publizirte am 1. März eine Denkschrift, die daraus hinauslief, daß Italien ohne Vertreibung der Oesterreicher nicht zu helfen sei. Auf ein erneutes, sehr ernstliches Andringen des Torykabinetes bequemte er sich jedoch am 12. März gleichfalls das Versprechen, nicht offensiv Vorgehen zu wollen, abzugeben — aber nicht ohne hinzuzufügen: so lange Oesterreich einen Fuß in Italien habe , könne dasselbe nicht umhin auf die Vernichtung Sardinien's zu sinnen, dessen Verfassung einen steten Protest gegen die Zustände Lombardovenetiens bilde, so wie hinwiederum die österreichischen Separatverträge mit den Herzogthü- mern und das österreichische Besatzungsrecht in Pia- cenza, Ferrara und Commacchio eine permanente Drohung für die staatliche Existenz Piemont's in sich schlössen. Während diese Verhandlungen noch in der Schwebe waren, hatte sich in den ersten Tagen des März der englische Gesandte in Paris, Lord C o w- ley, in einer Spezialmission nach Wien begeben — wie Malmesbury dem Oberhause meldete „ohne bestimmte Aufträge, aber mit Einwilligung und in genauer Kenntniß der Absichten Napoleon's, um sich über die Ansichten der österreichischen Regierung zu unterrichten." Noch am 28. März waren die Minister der Königin Viktoria überzeugt „durch Cowley's Sendung sehr erfreuliche Resultate erzielt zu haben" ; sich auf die Zuvorkommenheit stützend , mit der Graf Buol den Abgesandten ausgenommen, zweifelten sie nicht im mindesten daran, man werde nunmehr, auf Grundlage des gegenwärtigen Territorialbesitzstandes in Italien, über eine Revision der österreichischen Se- paratvcrträge mit Toscana, Modena und Parma, so wie des österreichischen Besatzungsrechtes in den