Folia archeologica 13.
A. T. Németh: Das älteste Typarium der philosophischen Fakultät der Wiener Universität
Das älteste Typarium der philosophischen Fakultät der Wiener Universität 135 gewachsenen Bank mit Rücklehne sitzt der Lehrer in Seitenansicht, in einer ungewöhnlich anmutenden, geduckten Haltung. Seine Füße ruhen auf einem hohen, gepolsterten Schemel. Er ist mit dem langen, faltenreichen Talar und kurzen Kragenmantel der weltlichen Professoren bekleidet. Auf dem uns zugewandten, mit langem Haar und Bart bedeckten Kopf sitzt ein Barett. Vor dem Lehrer liegt auf dem charakteristisch gotischen Lesepult das aufgeschlagene Buch. Auffallend ist der Gegensatz zwischen den im Verhältnis zur Figur allzu großen Händen, der unbeholfenen Körperhaltung und der dagegen meisterhaft anmutenden Hervorhebung der charakteristischen Züge des Kopfes. Allerdings sah sich der Graveur einer ungewöhnlichen Aufgabe gegenüber: aus der Verbindung zweier verschiedener Siegelfigurentypen, dem Reiter im Profil und der in Vorderansicht dargestellten Sitzenden Thronfigur versuchte er diese ungewöhnliche Darstellung offensichtlich ohne viel Erfolg zu komponieren. Auf der linken Seite des Bildfeldes findet die Gruppe der neun Schüler Platz. Von diesen übereinander, bzw. hintereinander angeordneten Figuren hat aber der Meister — im Gegensatz zu den früher besprochenen zwei Siegeln — nicht nur die Köpfe, sondern auch die dazugehörenden, hintereinander gereihten Körper modelliert. Die ersten beiden Schülerfiguren, deren Körper von dem üblichen langen und weiten Mantel bedeckt ist, sitzen vermutlich auf niedrigen Schemeln. Im Schoß hält jeder von ihnen ein offenes Buch; dieses Motiv wiederholt sich noch bei zwei weiteren Schülerfiguren. Von den neun Köpfen, die alle individuelle Gesichtszüge tragen, sind bloß zwei mit einem turbanähnlichen Barett bedeckt, während die sieben anderen teils bärtigen, teils bartlosen Gesichter sind im großen und ganzen die gleiche Haartracht aufweisen. Das rechtsgeneigte, zweigeteilte österreichische Wappenschild im oberen Teil der Bildmitte verbindet und krönt gleichsam die Gruppen der beiden Seiten. Die übrigen Teile der Bildfläche überzieht raumfüllendes Blattwerkdekor. Die Inschrift innerhalb der zwei feingravierten Perlschnüre ist im oberen Teil durch einen gotischen Baldachin, der zugleich als Ausgangs- und Endpunkt der Legende dient, unterbrochen. Sie ist in gotischen Majuskeln gehalten und lautet: S [IGILLUM] • FACULTATIS • ARTIUM • LIBERALIUM • STUDII • WIENNEN[SIS]. 2 7 Das beim ersten Blick überfüllt anmutende Siegelbild zeugt nichtsdestoweniger von der hohen Geschicklichkeit seines Meister, der offenbar einen entwickelten Sinn für Komposition und die Fähigkeit zur Individualisierung der einzelnen Gesichtszüge besaß. Minder geschickt erwies er sich in der Modellierung der Körper und der Bewegungen seiner Figuren. In der Linie Wappenschild — Lesepult ist dem Bild eine mittlere Achse gegeben. Rechts und links von dieser Achse hat der Meister in ungleichseitige, einander zugekehrte Dreiecke die Masse der Schüler einerseits, die des Lehrers und der gotischen Bank andererseits hineinkomponiert. Das Typarium, Eigentum des Ungarischen Nationalmuseums, ist auch gegenwärtig ausgestellt und als Geschenk des Königs Matthias Corvinus an die Wiener Universität im Katalog angeführt. Diese Erklärung der man zum 2 7 Auf Siegeln anderer Universitäten und auf späteren Siegeln der Fakultät, ist die Heilige Katharina, Schutzheilige der Fakultät dargestellt.