Evangélikus Élet, 2013. július-december (78. évfolyam, 27-52. szám)

2013-11-03 / 44. szám

D c 1 1 t scl i c 4 /'i í c ho.“ 6 * 2013. november 3. NÉMET OLDAL Evangélikus Élet Vom unscheinbaren Pflänzchen zur wider­standsfähigen Staude Bilanz aus drei Jahrzehnten Partnerschaft ► Die älteste bayerisch-ungarische Gemeindepartnerschaft feierte rundum um das Erntedankfest ihr 30-jähriges Bestehen. Menschen, die über die Jahrzehnte hinweg an diesem Miteinander zwischen der Kirchengemeinde St. Sebald in Nürnberg und der Budapester Burg­gemeinde gebaut haben, kamen im Budaer Burgviertel zusammen, um gemeinsam zurückzublicken und ihren Dank vor Gott zu bringen. Der Hunger nach Gott ist im Gefängnis größer als „draußen“ Pfarrer Andreas Wellmer über deutsche Seelsorge hinter ungarischen Gittern ► Vielen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn ist er wohlbekannt. Und auch in den Gefängnissen des Landes kennt man ihn als Seelsorger der deutschsprachigen Gefangenen. Pfarrer Andre­as Wellmer, von 2000 bis 2009 Pfarrer der Deutschen Evangelischen Gemeinde Budapest, lebt - nach einem Zwischenstopp in einer Ge­meinde in Frankfurt am Main - heute mit seiner Frau in Minden, wo er unter anderem in der Evangelischen Landeskirchlichen Gemein­schaft tätig ist. Doch der Dienst in Ungarn hat ihn auch seither nicht losgelassen. Jeden Sommer vertritt er einige Wochen seinen Nachfol­ger Johannes Erlbruch und besucht in dieser Zeit die deutschen und österreichischen Gefangenen. Zwei Eindrücke sollen zum Jubiläum der gemeindlichen Verbindungen einander gegenüber gestellt werden: Holger Stephan schildert seine Erin­nerung an seine erste Fahrt nach Un­garn und damit das Fremde, das das ihm damals noch unbekannte Ungarn „Wir sind zwei Wochen nach Erlö­schen der Visa-Pflicht mit dem Zug nach Ungarn gefahren. Beim Durch­queren des Eisernen Vorhangs wur­de es uns ziemlich mulmig. Es war noch alles vorhanden. Die Wachtür­me, der Stacheldraht, die Schein­werfer. Danach kamen wir uns vor, als wären wir vierzig bis fünfzig Jahre zu­rück in die Vergangenheit gekommen. Es war, als wäre die Zeit zurückge­dreht worden. Kann man sich heute kaum noch vorstellen, aber es war da­mals so. In Budapest angekommen, stellten wir uns auf den Bahnsteig und warteten. Wir kannten keinen der Ungarn. Am Anfang war es beklem­mend, weil wir Nürnberger auf dem Bahnhof getrennt wurden und uns laut Plan erst am nächsten Abend Wiedersehen würden. Fremde Stadt, fremde Sprache, fremde Menschen. Es gab damals keine Handys, keine Möglichkeit also, Kontakt zu den Anderen zu halten. So standen wir Se­­balder mit den Nürnberger Nachrich­ten in der Hand in Budapest auf dem Bahnsteig und warteten. Nach kurzer Zeit waren wir umringt von et­lichen fremden sehr freundlichen Menschen, die sich in einer uns un­verständlichen Sprache unterhiel­ten, unterbrochen von Blicken und Zeichen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass in dieser Runde die Ver­teilung auf die Gastfamilien beschlos­sen wurde. So wurden wir schließlich auf dem Bahnhof getrennt zu unse­ren Gastfamilien gebracht und der restlichen Familie vorgestellt.“ Diese Fremdheit wurde freilich schnell überwunden - und ein herz­liches Miteinander entstand. Das Erntedankfest nahm Gerhard Schorr, Pfarrer an der Sebalduskirche, zum Anlass, um den Dank für die Partner­schaft vor Gott zu bringen - ähnlich wie die Gaben, die den Altarraum der Burgkirche zierten. In seiner Predigt sagte er: „An diesem Erntedank 2013 feiern wir ebenso staunend und dankbar die 30 Jahre partnerschaftlicher Bezie­hungen zwischen Eurer Burg-Ge­meinde hier in Budapest und unsrer Sebalder Ge­meinde am Fuß der Nürnberger Burg. Wenn wir zurückblicken, dann können wir nur wieder staunen und Gott loben: Ein unscheinbares Pflänz­chen hat sich zu einer widerstandsfähigen Stau­de entwickelt. Sie hat Schübe kräftigen Wachs­tums erlebt, besonders, wenn einzelne Menschen engagiert ihre Pflege übernommen haben. Sie hat auch Perioden der Trockenheit überlebt. Und es war ihr sogar ge­gönnt, Wachstumsimpul­se auszusenden. Mit an­deren zusammen hat sie dazu beigetragen, dass die Landeskirchen Un­garns und Bayerns vor 21 Jahren ihren Partner­­schaftsvertrag geschlos­sen haben. Den 20. Jah­restag haben wir im letz­ten Oktober gemeinsam in Nürnberg gefeiert. Ich staune im­mer noch über die unglaubliche An­zahl von Bussen, in denen Christin­nen und Christen aus ganz Ungarn bis zu 800 Kilometer nach Nürnberg überwunden haben. Erntedank - Partnerschaftsdank! Gott hat vielfar­bige Blüten aufblühen und erstaun­liche Früchte wachsen lassen - und sogar Ehen gestiftet, mit Kindern ge­segnet, und andere Beziehungen, die Familien, Gemeinden und Völker miteinander verbinden.“ ■ H.M.- Die Seelsorge an Gefangenen wurde in Ihrer Budapester Zeit zu ei­nem bedeutenden - wenn auch vor der weitgehend verborgenen - Teil Ih­res Dienstes. Warum ist Ihnen diese Form der Seelsorge wichtig geworden?- Stellen sie sich vor, Sie würden kein Ungarisch verstehen und befän­den sich mit vielleicht nur vier oder 14 oder 20 weiteren Mithäftlingen in einer ungarischen Gefängniszelle. Ihre innere Verfassung wäre weitge­hend bestimmt von großer Unsicher­heit, quälender Isolation, lähmender Monotonie und heimlicher Angst. - Nach Monaten käme dann ein deut­scher Pfarrer, mit dem Sie in ihrer Muttersprache unter vier Augen stundenlang vertraulich alles bereden könnten, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Könnte Ihnen das nicht eine Hilfe sein? Seelsorge an Häftlingen ist aus zwei Gründen wichtig: Einerseits weil gerade sie nach einer solchen Begegnung lechzen wie der Verdur­stende nach frischem Wasser. Ande­rerseits weil Jesus sagt: „Ich bin ge­fangen gewesen, und ihr habt mich besucht.“- Können Sie diesen Menschen - über die punktuellen seelsorgerli­­chen Begegnungen hinausgedacht - auch den Gefängnisalltag in irgend­einer Form erträglicher machen?- Das „Besuchtwerden“ stärkt das gerade in der Haft off in den Staub getretene Selbstwertgefühl. Das allein ist schon eine Hilfe. Darüber hinaus kann ich zum Beispiel die jeweilige Botschaft bitten, für den Häftling - endlich - etwas zu tun. Auch kann ich seine Verwandten in seinem Hei­matland anrufen, kann seinen An­walt kontaktieren oder im Justizmi­nisterium darum bitten, dass seine Überstellung ins Heimatland befür­wortet und beschleunigt wird. Off ist es im Gespräch mit dem Komman­danten der Anstalt möglich, darum zu bitten, dass der Gefangene eine positive Beurteilung zwecks Ver­kürzung der Haftzeit erhält, oder dass er nicht nur einmal, sondern zweimal pro Woche duschen darf. Die von uns im Namen der Botschaf­ten mitgebrachten Lebensmittel sind auch eine kleine Hilfe.- Sicherlich begegnet man als Ge­fangenenseelsorger nicht nur Reue, sondern auch einer Art Verdrän­gung. Wie hat sich durch die zahlrei­chen Begegnungen mit Gefangenen ihr persönlicher theologischer Blick auf die Schuld- und Sündhaftigkeit des Menschen verändert?- „Erinnerung ist eine Bearbeitung der Vergangenheit“, so sagte einst Erich Kästner. Für viele ist die mit solcher Bearbeitung einhergehen­de Verdrängung eigener Schuld eine innere Überlebensmethode. Jeder Mensch ist auch im „Sich-Erinnern“ ein Sünder. Schuldbewusstsein und Reue begegnet mir in den dreißig von mir besuchten Haftanstalten ebenso selten wie in der „normalen" Ge­meinde. Die deutsche Botschafterin Ursula Seiler-Albring sagte in ei­nem Gefängnisgottesdienst in Ba­racska, dass wir alle, egal ob „drin­nen“ oder draußen", vor Gott schul­dig und wertvoll zugleich seien. Ge­rade aber im Gefängnis sind er­staunlich viele Menschen geistlich of­fen, fangen an, in der Bibel zu lesen, wollen ihr Leben mit Gott verbinden, bitten um Fürbitte. Der Hunger nach Gott als dem neu ins Gesichtsfeld tretenden „Überlebenshelfer“ scheint mir dort größer zu sein als „draußen“.- Ein Seelsorger ist freilich kein „zweiter Richter“, der über Menschen urteilt. Welche Herausforderungen je­doch hat die Vermittlung der Frohen Botschaft im Gefängnis? Welche Per­spektiven der „Freiheit eines Christen­menschen“ kann man Menschen in Ge­fangenschaftglaubwürdig vermitteln?- Gott „lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute“. Jedem also gilt die ganz einfach und elemantar zu vermittelnde „Super-Botschaft“, sie lautet: Erstens: Dieser Mensch gilt vor Gott viel. Zweitens: Gott ist ihm nä­her als seine Tätowierung. Drittens: Jesus zerreißt seine Anklageschrift. Und viertens: Die Orientierung an Je­sus Christus hilft, ein verändertes Le­ben schon jetzt zu führen. - Dem dient zum Beispiel der Bibelkreis und der Gottesdienst in der Haftan­stalt. Ich habe in der Haft etliche durch das Vertrauen auf Jesus inner­lich befreite Menschen angetroffen.- Wie kann die Seelsorge an Gefan­genen auch in der Gemeindearbeit verankert werden? Es ist ja sicher wünschenswert, dass das kirchenge­meindliche Denken und Beten sich nicht auf den Bereich außerhalb von Gefängnismauern beschränkt?- Der Pfarrer nehme zu jedem sei­ner Besuche einfach ein Gemeinde­glied mit. Dadurch entsteht bei vie­len die Leidenschaft, in die meist recht dunkle Welt der Strafjustiz ein Licht mitmenschlicher Hilfe und der Liebe Christi hineinzutragen. Ehrenamtliche Besuche, Briefwech­sel mit Häftlingen, Abschicken von Paketen, Kontakte zu Angehörigen, Einladen von Mitarbeitern der Ge­fängnismission „Élő reménység" aus Dunakeszi - all das hilft zum Bau ei­ner tragfähigen Brücke zwischen den Gefangenen und der Gemeinde.- Und zuletzt: Gibt es ein Highlight aus Ihrer ungarischen Gefängnisarbeit, von dem Sie uns berichten können?- Im Weihnachtsgottesdienst im Gefängnis von Baracska wurden ei­niger der insgesamt 80 Besucher spontan als Mitspieler in die Weih­nachtsgeschichte einbezogen So ging denn ein Häftling - es war eine be­wegende Szene - Hand in Hand mit unserer Gemeindepraktikatin wie Josef mit Maria auf „Herbergs­suche“ im Bethlehem zu Baracska. -Ich denke an einen Österreicher. Er erwartete nach eineinhalb Jahren Untersuchungshaft eine Strafe von mindestens fünf Jahren. Als unsere Budapester Gemeinde in der Ge­richtsverhandlung anbot, die Ko­sten für einen Hausarrest zu über­nehmen, entschied der Richter auf nur ein Jahr Hausarrest im Haus der oben genannten Gefängnismission. Der Dolmetscher meinte: Das gab's noch nie! Der Häftling sagte: Das ist ein Wunder Gottes. -Mir steht auch die Nigerianerin vor Augen, die mit der Bibel in der Hand uns voller Freude sagte: „Gott hat mich durch die sechs Jahre Haft hin­durchgetragen, ohne ihn wäre ich zer­brochen." Als wir das der christlichen Konsulin in der Botschaft von Nige­ria berichteten, meinte sie: „Dass so etwas heute möglich ist!“ ■ Holger Manke Evangelische Kirche im Burgviertel (Budapest)

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