Ernst D. Petritsch: Ergänzungsband 10/1. Regesten der osmanischen Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv. Band 1: 1480-1574 (1991)
Einleitung
10 Emst Dieter Petritsch etwa Steuerlisten, hier verzeichnet. Ausnahmsweise berücksichtigt wurden auch jene habsburgischen Schriftstücke, von denen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Übersetzungen in osmanisch-türkischer Sprache erhalten geblieben sind (Regesten 388, 490). DIE DIPLOMATISCHEN BEZIEHUNGEN ZWISCHEN HABSBURGERN UND OSMANEN (1526-1574) ') Die osmanischen Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv setzen - sieht man nur von zwei älteren Stücken ab - exakt nach dem Jahre 1526 ein. Dieses Datum bedeutet zugleich den Beginn der direkten Konfrontation, aber auch der diplomatischen Beziehungen zwischen Habsburgem und Osmanen als Folge der verhängnisvollen Schlacht von Mohács. Beide Mächte waren gleichzeitig erbitterte Gegner, Repräsentanten unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Religionen und Traditionen, Rivalen mit nicht zu vereinbarenden Gebietsansprüchen an einer gemeinsamen Grenze, die bis zum Ende des 17. Jahrhunderts niemals exakt festgelegt wurde. Die daraus notgedrungen erwachsenden Gegensätze wurden freilich nicht bloß militärisch, sondern daneben - oft parallel dazu — auch diplomatisch ausgefochten. Auf der habsburgischen Seite war Ferdinand I. (1503-1564), seit 1526 zumindest nominell ungarischer, 1527 böhmischer und 1531 deutscher König, der führende Exponent, denn Kaiser Karl V. hatte seinem Bruder nicht nur die Erblande, sondern daneben vor allem auch die Führung der gesamten Ostpolitik ohne Einschränkung überlassen. Osmanischerseits stand ihm Sultan Süleymän I. (1494—1566) gegenüber, unter dessen 46jähriger Regierungszeit (1520-1566) das Osmanische Reich seine unumstrittene Machtentfaltung erlebte. Auf der anderen Seite wird auch Ferdinand, vor allem wegen seiner weitblickenden Reformen, von vielen Historikern heute als eine der bedeutendsten habsburgischen Herrscherpersönlichkeiten angesehen. Im Vergleich zu diesen beiden hervorragenden Repräsentanten sind die jeweiligen Söhne und Nachfolger in ihrer Bedeutung zweifellos nicht ebenbürtig, sowohl Maximilian II. (1564—1576), und schon gar nicht Selim II. (1566-1574). Mit dem Tode Sultan Selims, der bei den Türken den Beinamen „der Blonde“, aber auch „der Säufer“ trägt, im Dezember 1574 endet auch der erste Regestenband. Selim soll - so die Überlieferung - berauscht im türkischen Bad ausgerutscht sein und sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen haben. Bei einer Behandlung der diplomatischen Beziehungen zwischen zwei Großmächten soll allerdings nicht nur von den Herrschern, sondern auch von den Systemen die Rede sein. Und auch hier gibt es einige Ähnlichkeiten: Einerseits war nämlich Ferdinand I. als Reformer bestehender Einrichtungen bzw. als Gründer neuer Behörden, etwa des Hofkriegsrates, sehr erfolgreich und damit für die folgenden Jahrhunderte bestimmend: andererseits war auch Süleymän I. in organisatorischen Belangen bahnbrechend. Bezeichnenderweise nennen ihn die Türken bis zum heutigen Tag „den Gesetzgeber“ (Ka- nüni), wogegen sein Beiname „der Prächtige“ erst auf dem Umweg über die französische Historiographie auch bei uns Eingang gefunden hat. Zwar gibt es also gewisse >) Einen ersten Einstieg in das Thema und zahlreiche Literaturhinweise bieten: Katalog Österreich und die Osmanen. Gemeinsame Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek und des Österreichischen Staatsarchivs (Wien 1983): Emst Dieter Petritsch Die Ungampolitik Ferdinands I. bis zu seiner Tributpflichtigkeit an die Hohe Pforte (Ungedr. geistesw. Diss. Wien 1979); ders. Der habsbur- gisch-osmanische Friedensvertrag des Jahres 1547 in Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs (MÖStA) 38 (1985) 49-80; vgl. auch Gerhard Rill Humanismus und Diplomatie. Zur Geschichte des Gesandtenwesens unter Ferdinand I. in MÖStA 25 (1972) 565-580.